Ein Bär im Betstuhl
gewesen war, er hatte nicht nur einen Haufen Schulden gehabt, sondern war auch in schmutzige Geschäfte verwickelt gewesen, und es hatten mehrere Anzeigen wegen brutaler Erpressung gegen ihn vorgelegen. Der Mann hatte das Spiel verlo ren, er hatte keine Chance mehr gehabt, und hart, wie er gewesen war, hatte er beschlossen, sich selbst zu ermorden, um nicht die Giftsuppe auslöffeln zu müssen, die er gekocht hatte. An sich ein bedauernswerter Fall, aber der Pastor konnte sich nicht im Mindesten dazu zwingen, Mitgefühl für den unglücklichen Toten zu empfinden. Die Witwe hingegen hatte all die Demütigun gen, die sie erfahren hatte, vergessen und hütete jede kleinste Erinnerung an ihren Mann.
»Heute Morgen habe ich mir Santeris Arbeitsoverall angezogen, auch seine Gummistiefel, obwohl sie mir viel zu groß waren, und bin auf unserem Hof herumgelau fen, überall dort, wo Santeri immer gearbeitet hat. Ich habe an den Kleidungsstücken gerochen und die ganze Zeit geweint.«
Der Pastor fragte sich, ob die Witwe wohl auf Santeris Spuren bis zur Branntweinfabrik gegangen war oder ob die vom Schmerz gebeugte Frau in ihren großen Gum mistiefeln auf den Dachboden des Kuhstalls geklettert war, zu Santeris Liebesnest, wo er es mit fremden Frau en getrieben hatte, wie er selbst zu prahlen pflegte. Laut aber sagte er zur trauernden Witwe:
»Die Identifizierung mit dem verstorbenen Ehepartner in einsamen Momenten zeugt von der Stärke und Dau erhaftigkeit des Gefühls, das über den Tod hinaus an hält.«
Es war bereits Abend, und der Pastor brach auf, man erwartete ihn auf der Sitzung des Dorfausschusses von Rekitaipale, wo er zum Thema »Wie bleiben wir auf dem Lande geistig rege« sprechen sollte. Auf dem Heimweg nutzte er die Gelegenheit, seine Ergebnisse im vertikalen Speerwurf zu verbessern, aber ihm schien, als hätte sich ein Teil der schweren Trauerlast von Witwe Rehkoila auf ihn übertragen: Der Speer stieg knapp elf Meter hoch in die Luft, fiel wieder in den Brunnen zurück und dem Werfer auf den Helm. Pastor Huuskonen stand da und fragte sich, wie verrückt er im Laufe der Jahre eigentlich geworden war, dass er neuerdings Speere aus einem Brunnen schleuderte.
Als er ins Pfarrhaus zurückkam, überraschte er seine Frau dabei, wie sie Sapperlot auf dem Hof mit dem Teppichklopfer verprügelte. Der Bär schrie vor Entsetzen und fletschte sogar die Zähne, aber er bekam eine tüch tige Tracht ab, ehe Oskari einschreiten konnte.
Seine Frau erstickte fast vor Wut. Der kleine Bär hat-te, als er tagsüber eine Weile allein gewesen war, den Wohnzimmerteppich völlig zernagt, er hatte in der Kü che den Unterschrank geöffnet, Zucker herausgenom men und ins Spülbecken gekippt und sich anschließend im Mehl gewälzt, das er ebenfalls im Schrank gefunden hatte. Es war von oben bis unten mit Zucker und Mehl bestäubt gewesen und hatte im ganzen Haus seine Abdrücke hinterlassen.
»Ich war ja gezwungen, ihn rauszubringen und aus zuklopfen. Was glaubst du, wie es hier aussah, als ich vom Einkaufen zurückkam.«
»Du hättest trotzdem nicht gleich den Teppichklopfer nehmen müssen.«
Der Pastor trug den Bären auf den Armen in sein Zimmer und beschloss, ihn nie wieder mit seiner Frau allein im Haus zu lassen. Saara hatte ein hitziges Tem perament, sie war im Prinzip nicht bösartig, aber wenn sie in Wut geriet, handelte sie blind und unüberlegt.
Saara ärgerte sich über ihren Ausbruch, wollte das aber ihrem Mann gegenüber nicht zugeben. Im Gegen teil, sie stichelte:
»Nur gut, dass die Gemeinde dir nicht statt des Bären einen Affen geschenkt hat.«
»Was sollte ich mit einem Affen anfangen?« »Einen Bären brauchst du ja so dringend. Die ganze
Gemeinde lacht dich aus, ein Pastor und Doktor der Theologie läuft im Dorf rum und trägt einen voll geschis senen Bären im Arm. Und wirft mit einem Verrückten um die Wette Speere aus dem Brunnen. Wenn das publik wird, verlasse ich dieses Haus.«
Am späteren Abend klopfte sie an Oskaris Tür und reichte ihm eine Nuckelflasche, allem Anschein nach jene, aus der vor mehr als zwanzig Jahren die jüngste Tochter des Paares getrunken hatte.
»Ich habe Milch mit Honig warm gemacht, gib das Sapperlot«, sagte sie und zog sich sofort wieder zurück.
Sapperlot nuckelte bereitwillig die warme Honigmilch, die Augen genussvoll geschlossen.
Vor dem Schlafengehen las Oskari dem Bären noch ein paar Abschnitte aus Elina Karjalainens wunder schönem
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