Ein Bär im Betstuhl
sehr gereizt, weiß nicht, wo er ist, verirrt sich im Wald und findet nicht wieder zurück.
Der Pastor hatte im Rahmen der Feiertage jede Menge kirchlicher Pflichten zu erfüllen. Er eilte von einer An dacht zur nächsten, musste Hausbesuche machen, die Weihnachtspredigt vorbereiten, und er musste natürlich auch das eigene Weihnachtsfest in der Familie irgendwie gestalten. Das eigene Weihnachtsfest? Seine Frau war kein Weihnachtsmensch. Ihr war die eigentliche Bot schaft von der Geburt des Jesuskindes wohl nie klar geworden. Natürlich erschien sie zum Weihnachtsgot tesdienst, aber dort saß sie dann mit unzufriedener Miene, so als verbüße sie eine unverdiente Strafe. Der Klang der Stimme ihres Mannes in der kalten, alten Kirche konnte sie nicht in andächtige Stimmung verset zen. Und die Bauern, die hinter ihr saßen und nach Zigarettenrauch, Schmieröl und Speck rochen, trugen auch nicht zu ihrer Erheiterung bei.
Auch General Hannes Roikonen konnte über Weih nachten nicht im Dorf bleiben, hatte er doch Familie. Dabei hätte es ihm sehr wohl Spaß gemacht, im schwar zen Schlitten stehend über die verschneiten Dorfstraßen zu fahren und die beiden weißen Traber mit der Peitsche anzutreiben. Stattdessen musste er sich damit zufrieden geben, dass ein gewöhnlicher Pastor ihn mit seinem japanischen Auto heimfuhr, und das Auto war nicht einmal schwarz, sondern grau und voller Bärenhaare.
Die Eheleute hatten nicht extra vereinbart, dass sie sich diesmal zu Weihnachten nichts schenken und auch die Kinder oder andere Gäste nicht einladen würden. Es war nicht nötig. Saara Huuskonen hatte einen fertigen
Schinken im Laden bestellt und begnügte sich damit, ihn in der Mikrowelle aufzuwärmen, dazu servierte sie Erbsen aus der Konservendose und legte zerstreut die Silberbestecke neben die Teller. Der Pastor zündete eine Kerze auf dem Kaminsims an, verzichtete aber darauf, Feuer zu machen. Die beiden aßen lustlos, und der Pastor sprach kein Tischgebet. Das nannte sich Weih nachten!
Die Eheleute schliefen in getrennten Zimmern, das taten sie, seit Saara den Bären mit dem Teppichklopfer bearbeitet hatte. Durch die Tür riefen sie sich immerhin ein ›Gute Nacht‹ zu. Es gab also keinen offenen Streit, aber die Atmosphäre war bedrückend. Saara Huusko nen dachte in ihrem Bett über ihre Rolle als Ehefrau eines närrisch gewordenen Mannes nach. Oskari hatte wahrhaftig den Realitätssinn verloren, und es passte ins Bild, dass er das selbst nicht erkannte. Ein gestandener Kerl, der sich in eine junge Frau verknallte, wie Oskari in die dralle Wissenschaftlerin aus Oulu, war schon an sich lächerlich, aber dass er sich dann auch noch mit ihr herumtrieb, dazu in einer Bärenhöhle, und in sei nem Alter, Gott bewahre! Es war peinlich und Mitleid erregend. Saara Huuskonen hatte einen Psychiater angerufen, war sogar unter dem Vorwand, Weih nachtseinkäufe zu machen, nach Helsinki gefahren und hatte einer anderen Vertrauensperson von ihrer Schan de erzählt, aber Oskari hatte das Ganze nur mit einem Schulterzucken quittiert. Er hatte gesagt, dass sein Verstand nicht gelitten habe und dass Saara, wie ge wöhnlich, überflüssiges Theater mache. »Die Wechsel jahre?«, hatte er gewagt zu fragen.
Saara Huuskonen stand auf, ging nervös ins dunkle Wohnzimmer, suchte nach den Zigaretten und rauchte. Auf dem Tisch stank der Schinken vor sich hin, so weit war es also schon gekommen, dass sie am Weihnachts abend nicht mal das Essen in den Kühlschrank räumte. Alles war ungeordnet, das ganze Leben jämmerlich, und alles nur wegen des verfluchten Zotteltieres. Saara drückte die Zigarette auf der Platte mit dem Schinken aus und ging weinend ins Bett.
Auch Oskari fand keinen Schlaf, er spürte, dass seine Frau durchs Haus lief, stand auf und lauschte.
Was mochte Sonja jetzt gerade in Oulu treiben? Ob sie einen Freund hatte? Natürlich. Dieses verdrehte Geschöpf, dauernd las sie ihre Liebesschnulzen, war merkwürdig unbedarft für eine Akademikerin. Vielleicht hatte sie irgendein nordisches Trauma, oder es war eine Trotzreaktion. Oskari konnte nichts dagegen tun, dass er sich nach ihr und den gemeinsamen Nächten in Sapperlots Höhle sehnte. Das Ganze war ziemlich gewagt, wahrscheinlich wurde im Dorf und sogar schon außerhalb darüber geredet, aber im Prinzip betrieben sie ja Wissenschaft, speziell Biologie. Die flüsternden Gespräche über Glauben und Allmacht, die sich über Stunden und Tage
Weitere Kostenlose Bücher