Ein Bär im Betstuhl
hinzogen, waren auf ihre Art geistliche Arbeit. Die Frau hungerte nach Religion, das hatte er deutlich gemerkt. Sie hatten sogar zur Probe gemeinsam gebetet. Fatal war nur, dass ihn, je größer Sonjas Eifer wurde, sein eigenes Gebrabbel umso mehr anödete. Es war ziemlich kindisch, einer Frau lauter Zeugs aus der Bibel ins Ohr zu flüstern, so als hielte man eine Sonntagsschule. Aber auf diese Weise verging die Zeit, und mit der Kraft der Religion hielt er Sonja in der Höhle.
Zum Glück hatte sich Bischof Ketterström von seiner Verletzung erholt, sodass in dieser Sache ein Skandal wohl ausblieb, zumindest in der Presse.
Der Bischof hatte vor Weihnachten angerufen und ge sagt, dass der Vorfall mit dem Speer nie mehr erwähnt werden sollte. Stattdessen hatte er den Pastor davor gewarnt, seinen Ruf als Kirchenmann endgültig zu ruinieren. Er hatte es bedenklich gefunden, dass ein Geistlicher einer jungen Frau bei irdischer Wissen schaftsarbeit half. Ein Theologe, der über »Apologetik immerdar« dissertiert hatte, sollte sich aus der Erfor schung des Winterschlafes von Raubtieren heraushal ten. Es war auf keinen Fall wünschenswert, dass sich Pastoren zum Narren machten, so wie Oskari Huusko nen es gerade tat.
»Ein verheirateter Pastor darf nicht in eine Höhle krie chen, in der eine unverheiratete junge Frau liegt, merk dir das, Oskari.«
Pastor Huuskonen hatte darauf gesagt, dass er sich um den Bären kümmern müsse, denn der sei ein Geschenk seiner Gemeinde. Der Bischof hatte erwidert, dass er, wenn er gewusst hätte, welchen Ärger das Raubtier bringt, ihm mit eigenen Händen den Hals umgedreht hätte.
Während des Gesprächs hatte sich herausgestellt, dass sich Saara Huuskonen in diesen Fragen mit dem Bischof beraten hatte.
»Saara ist besorgt um deine mentale Gesundheit, und ich halte ihre Sorge nicht für unbegründet.«
»Wag es nicht, mich verrückt zu nennen, Ketterström. Du bist selbst ein rechter Wirrkopf, wenn ich das mal sagen darf.«
»Bitte keine persönlichen Angriffe, Oskari, dies ist ein ganz brüderliches Gespräch. Ich versuche dich nur zu schützen.«
Oskari Huuskonen öffnete leise die Tür zum Schlaf zimmer seiner Frau, tappte zu ihrem Bett und legte die Hand auf ihre Stirn. Saara schluchzte.
Oskari kroch zu seiner Frau ins Bett, und sie protes tierte nicht. Immerhin war Weihnachten, dachten beide und lagen im dunklen Pfarrhaus schweigend wach.
DIE PASTORENGATTIN
TRITT AUS DER KIRCHE AUS
Nach Neujahr kehrte Sonja Sammalisto aus Oulu zu rück, um sich wieder der Bärenforschung zu widmen. Sie wertete die von Witwe Rehkoila während der Feierta ge gesammelten Computerdisketten aus und bezog die Höhle, um Sapperlot weiter zu beobachten. Als Pastor Huuskonen hörte, dass Sonja zurückgekehrt sei, er wachte in ihm sofort der Forschungsdrang, und er verbrachte fortan seine Zeit in der Bärenhöhle. Das alte Spiel ging weiter: Unter dem Schnee wurde geflüstert und gefummelt.
Der Weihnachtsurlaub im Norden hatte Sonja in reli giösem Sinne gut getan. Sie erzählte, dass sie ihre religi öse Erweckung in aller Ruhe hatte überdenken und analysieren können. Sie hatte an den Feiertagen Oskaris Weisheiten rekapituliert, den Gottesdienst besucht und, außer ihren alten Schundromanen, die Bibel und Kir chengeschichte gelesen. Jetzt brannte sie vor Eifer, mit ihm über ihre religiösen Gefühle zu sprechen.
Den Pastor machte all das langsam schaudern. Er hatte Sonja ja nicht ernsthaft bekehren wollen, sein eigenes Verlangen nach Apologie war längst abgekühlt, aber was tun, wenn eine junge Frau ganz offensichtlich eine Erweckung erfahren hat. Das kann eben passieren, wenn sie wochenlang mit einem Kirchenmann in einer Bärenhöhle schläft. Gegen Ende Januar schaffte sich Pastor Huuskonen neue Waldskier an. Seine Frau bean spruchte das Familienauto für sich, und er hatte nicht das Geld, sich ein neues zu kaufen oder zu mieten, obwohl auch er für die Ausübung seines Amtes unbe dingt einen Wagen benötigte. Ein gemeinsames Fahr zeug hätte dem Paar gereicht, wenn der Ehemann und Hausherr im Pfarrhaus gewohnt hätte, aber er verbrach te die meiste Zeit und fast sämtliche Nächte in Sapper-lots Höhle, wo er Sonja Sammalisto erregende Worte biblischer Liebe ins Ohr flüsterte, wobei dann auch die der irdischen Liebe nicht unerwähnt blieben.
Da der Pastor Freude am Skilaufen hatte, war das Transportproblem gelöst, denn vom Hof Rehkoila führte eine
Weitere Kostenlose Bücher