Ein Bär im Betstuhl
begann?
Nach den Geräuschen zu urteilen, schien der Bär zu schlafen, er atmete gleichmäßig und ruhig. Sonja Sam malistos Winterschlafforschung war auf einem guten Weg. Sie hatte gesagt, falls sie den Schlaf-Faktor, also den Grund für den langen Schlaf des Bären, fände, wäre das von enormer wissenschaftlicher Bedeutung. Zum Beispiel beim Alkoholentzug könnte überlanger Schlaf als Behandlungsmethode eingesetzt werden, auch Fett leibigkeit und viele innere Krankheiten ließen sich be handeln, wenn man den Organismus des Menschen so einzustellen lernte, wie es bei den Bären während des Winterschlafes auf natürliche Weise geschah. Und Ar-men und Irren würde ein langer Winterschlaf erleich tern, die trübsinnige Zeit der Polarnacht zu ertragen.
Aber die Predigt! Ehe ihn der Schlaf übermannte, dachte Pastor Huuskonen flüchtig, dass Jesus, wäre er ein Finne gewesen, kein großes Wunder damit vollbracht hätte, über Wasser zu wandeln, zumindest nicht im Winter. Denn das hängt nicht von der Stärke des Glau bens, sondern von der des Eises ab.
EMSIGER HÖHLENBETRIEB
UNTER DEM SCHNEE
Pastor Huuskonen gefiel es allmählich in Sapperlots Höhle. Dort war es ruhig und gemütlich, er hatte Zeit zum Nachdenken, seine Frau keifte nicht, und es laste ten keine kirchlichen Pflichten auf ihm. Der Menschen bereich der Bärenhöhle duftete nach Sonja Sammalistos Parfüm, und immer öfter geschah es, dass der Pastor hineinkroch, obwohl er wusste, dass sie dort lag und ihre Klatschblätter las. Doch ein Pastor passte immer noch in die Bärenhöhle: Sonja Sammalisto machte dem Kirchenmann neben sich Platz. Sie unterhielten sich flüsternd, damit Sapperlot nicht aufwachte. Der Pastor ließ seine Hand auf Sonjas Hüfte ruhen, was beiden ganz natürlich erschien.
Die junge Frau stellte alle möglichen Fragen zur Reli gion, und der Pastor als Experte erzählte ihr gern vom allmächtigen Gott, von der Bibel, von Jesus Christus und dem Heiligen Geist, von all den Dingen, an die er selbst eigentlich nicht mehr glaubte, aber mit denen er sich sein Leben lang beschäftigt hatte.
Für eine Wissenschaftlerin war Sonja ziemlich ober flächlich und auch ein wenig infantil, sie las gern Klatschblätter und Herz-Schmerz-Geschichten, interes sierte sich für Horoskope und all diesen Müll. Aber sie war eine vollblütige und lebendige Frau und keineswegs dumm, sondern auf ihre Art eine schlichte, aber patente Seele. Der Pastor erzählte ihr Geschichten aus der Bibel und lehrte sie die Kirchengeschichte. Es war sehr un terhaltsam für beide. Oskari Huuskonen spürte, wie ihn Sonjas Gesellschaft verjüngte. Hin und wieder fragte er sich, ob es sich um eine Art zweiten Frühling handelte, und er konnte zu seinem Erstaunen und seiner Freude feststellen, dass das eindeutig der Fall war.
Dort in der Tiefe der Bärenhöhle geschah es dann, dass zwischen Sonja Sammalisto und Oskari Huusko nen neben der geistigen Beziehung auch eine ganz irdische entstand, eine körperliche Freundschaft, wie Oskari es so hübsch umschrieb. Oft blieb er die ganze Nacht bei Sonja in der Höhle, rief nur kurz zu Hause an und sagte seiner Frau, dass der Bär erkrankt sei und rund um die Uhr betreut werden müsse. Im Pfarramt gab er Bescheid, dass sämtliche Anrufe, die für ihn kamen, direkt in die Bärenhöhle gelegt werden sollten.
Witwe Rehkoila kochte für den Pastor und die Wis senschaftlerin nahrhafte und wohlschmeckende Suppen aus Elchfleisch. Sie übernahm auch zwischendurch gern die Wache in Sapperlots Höhle. Wenn sie dort drinnen auf der Matratze lag, kroch der Pastor nicht hinein, sondern erfüllte seine Pflichten im Pfarramt oder hielt Andachten in der Diakonie. Aber wenn Sonja an der Reihe war, den Computer drinnen zu überwachen, beendete er rasch seine Andachten und kroch in die Bärenhöhle in die Arme seiner Geliebten.
In der ersten Phase des Winters und der Adventszeit lief alles gut, aber Weihnachten wurde für Oskari Huuskonen schwierig. Sonja Sammalisto reiste über die Feiertage nach Hause, nach Oulu. Oskari verlor das Interesse an den Nachtwachen in der Bärenhöhle. Witwe Rehkoila durfte jetzt Sapperlot drinnen Gesellschaft leisten und aufpassen, dass er nicht erwachte und die wissenschaftlichen Geräte zerstörte oder womöglich aus der Höhle flüchtete. Es kommt manchmal vor, dass ein Bär aus irgendeinem Grunde aus seinem Winterschlaf erwacht und in den Frost hinauskriecht. Er ist dann im Halbschlaf und
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