Ein Bär im Betstuhl
zur Religiosität. Als Biologin müsstest du wissen, dass die Evolution noch viele andere wunderbare Eigenschaf ten hervorgebracht hat, die die Gattung und damit das Leben erhalten. Das Gewissen ist eine Sicherheitsmaß nahme, die die Menschheit vor der Selbstzerstörung schützt.«
»Mein Gewissen jedenfalls ist kein bloßer Selbsterhal tungstrieb der Gattung.«
»Nun ja, Frauen sind immer ein Sache für sich. Manchmal scheint es, als hättet ihr Frauen zwei Gewis sen, eines ist für die Huren und eines für die Mütter reserviert. Sehr praktisch.«
Sonja wollte wissen, wie Oskari den Tod erklärt. Wieso lässt die Evolution die Entwicklung einer Gattung zu, die nur eine Weile lebt und dann stirbt. Der Mensch hätte sich doch auch zu einem unsterblichen Wesen entwickeln können, sodass die Gattung ganz sicher erhalten bliebe.
»Selbstverständlich schafft der Tod eines Individuums Platz für ein anderes, neues. Die Gattung verschwindet nicht, auch wenn ein Individuum stirbt, sondern sie lebt weiter, und das neue Individuum hat einen höheren Entwicklungsgrad. Genau das bedeutet ja Evolution.«
Sonja sagte seufzend, dass zumindest sie an die Un sterblichkeit des Menschen glaube, und sie sei über zeugt, dass Gott am Jüngsten Tag alle toten Gläubigen auferwecken werde.
Pastor Huuskonen bemerkte hierzu, dass das nicht so ganz einfach sein würde. Welche Menschen waren ge meint, nur jene, die vor ihrem Tod zum Glauben gefun den hatten, oder generell alle? Ein Mann der Steinzeit hatte nicht an den lutherischen Gott geglaubt, da er nichts von ihm wissen konnte. Er war vielleicht ein ganz empfindsamer und braver Mensch, aber er hat keine Chance, am Jüngsten Tag in den Himmel zu gelangen… Und wo bitte soll die Grenze zwischen Mensch und Tier gezogen werden? Gelangt ein gläubiger Affe in den Him-mel, oder muss ein Wesen sprechen und Waffen benut zen können, um als himmelstauglich gelten zu können?
»Voitto Viro behauptete, dass sein Hund in den Him-mel gelangt ist«, erinnerte sich Sonja.
»Sapperlot könnte Schwierigkeiten bekommen«, mein te darauf Huuskonen und betrachtete den Bären nach denklich.
Im Dorf bellten die Hunde. Der Bär brummte, er hatte Angst und riss an der Leine. Einige Köter liefen anschei nend frei herum, denn das Gebell näherte sich.
»Werden die Hunde heutzutage nicht mehr festgebun den?«, wunderte sich Sonja.
»Sie haben den Bären gewittert. Sollten wir ihn lieber nach Hause bringen?«
Sonja kam noch einmal auf die Grundfragen des Le-bens zurück.
»Aber der Schöpfungsakt? Ist der nicht immerhin ein Beweis für die Existenz Gottes? Aus der Leere kann nichts entstehen, das Leben ist von Gott geschaffen.«
»Nun ja… Gott muss als ziemlich unprofessioneller Schöpfer angesehen werden. Die Natur ist ihm einiger maßen geglückt, aber die Schaffung des Menschen war eine Katastrophe. Wenn beispielsweise ein Uhrmacher seine Arbeit ebenso ungeschickt machte, würde er sofort entlassen. Vermutlich existieren doch irgendwo, in anderen Welten, eine Gattung und eine Intelligenz, für die all diese Dinge sonnenklar und natürlich sind.«
Huuskonen hätte noch weiter philosophiert, aber jetzt kamen drei, vier Hunde über das Feld gehetzt, vorneweg ein großer, bellender Mischling, hinter ihm Spitze mit Ringelschwänzen, und rücksichtslos griffen sie Sapper-lot an. Der arme Bär hatte seine liebe Not, während ihm die Köter zusetzten. Er wehrte sich tapfer, aber der Maulkorb behinderte ihn beim Kampf, und die Leine verhedderte sich zwischen seinen Beinen. Aber seine Tatzen waren frei, und mit Kraft und Geschicklichkeit gab er den Angreifern tüchtig Kontra.
Während das schreckliche Gekläff und Gejaule weiter anhielt, griff sich Oskari eine Heustange, die am Weg lag, und versuchte die wütendsten Hunde abzuwehren. Als es ihm dann noch gelang, Sapperlot den Maulkorb abzunehmen, worauf der seinen Bärenschlund öffnete und die weißen Zähne fletschte, hielten es die Dorfhun de für besser zu verschwinden. Jaulend flüchteten sie über das Feld in den nahen Wald. Sapperlot wollte die Angreifer verfolgen, aber Oskari packte die Leine und hielt ihn zurück. Keuchend langten alle drei schließlich im Schulgebäude an. Der Pastor lobte seinen Bären:
»Sapperlot, du raufst wie ein Deibel.« DER PASTOR FÄHRT ZUR SEE
Bald nach Mittsommer wurde die Atmosphäre in der christlichen Volkshochschule ziemlich angespannt, denn es trafen Kursteilnehmer ein, die
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