Ein Ballnachtstraum
entgegnete Emma in einer ihrer höchst seltenen Gefühlsaufwallungen. „Eine Hochzeit ist der magische Beginn eines neuen Lebens. Ich hoffe, Sie messen den schrecklichen Vorfällen an diesem Tag keine große Bedeutung bei und können sie bald vergessen.“
Eloise nickte stumm, weil sie fürchtete, die Stimme würde ihr vor Rührung über Lady Lyons gefühlvolle Worte versagen.
„Und“, fügte Emma herzlich hinzu, „ich hoffe sehr, dass Sie und Drake eine glückliche Ehe führen werden.“
Zwei Hochzeiten an einem Tag, dachte Eloise in stiller Verwunderung. Die erste Hochzeit war ein Akt der Pflichterfüllung, um deren Zustandekommen sie sich redlich bemüht hatte. Diese andere aber war ein wunderbarer Traum, der in Erfüllung ging. Der entwaffnend gut aussehende Mann, der vor dem Altar auf sie wartete, schien einem Märchen entstiegen zu sein. Die ganze Szenerie drohte Eloise zu überwältigen. Die Lakaien in gepuderten Perücken und goldbetressten Livreen am Portal der Privatkapelle des Herrenhauses in der Park Lane: Alles war wunderschön. Und Freddie. Ihr lieber, guter Freund mit seinem roten Haarschopf machte ein so andächtiges Gesicht, dass sie lächeln musste.
Grayson geleitete die Braut gemessenen Schrittes den Mittelgang entlang zum Altar. Sein starker Arm gab ihr Mut. Eloise erinnerte sich mit leiser Wehmut an ihren Vater, der sie so herzlos aus seinem Leben verbannt hatte. Vielleicht würden sie sich eines Tages versöhnen. Seine letzten Worte klangen ihr im Ohr: „Du wirst dich mit deinem Eigensinn noch ins Verderben stürzen, wenn du nicht endlich zur Vernunft kommst und dich änderst.“
Offenbar sollte ihr Herr Papa recht behalten.
Dort vor dem Altar wartete das Verderben auf sie. Ihr dunkler, sündhafter Boscastle. Der einzige Mann, dem sie nicht widerstehen konnte. Welch ein Glück, dass sie sich nicht verändert hatte und nicht zur Vernunft gekommen war. Welch ein Glück, dass sie immer daran geglaubt hatte, dass Märchen wahr werden können.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie an die Seite ihres geliebten rebellischen Helden trat. Er trug einen schwarzen Gehrock aus schimmerndem Samt, dazu graue Hosen aus feinem Tuch, wie damals bei ihrer ersten Begegnung. Der Blick seiner indigoblauen Augen traf sich mit ihrem, und die Welt um sie herum begann zu versinken.
Mit ernster Miene nahm er ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Diese innige Geste wärmte nicht nur Eloises Herz, sondern auch die Herzen der wenigen Hochzeitsgäste. Drake war nie ein Mann gewesen, der seine Gefühle offen zur Schau stellte. Nur jene, die ihn wirklich gut kannten und liebten, wussten um die Bedeutung dieses Augenblicks. Er hatte es immer vorgezogen, Risiken zu wagen und unsichere Wege zu beschreiten, doch nun würde er nicht mehr allein sein. Ihm war es bislang eigentlich nur ums Überleben gegangen, und dabei hatte er eine überzeugende Fassade um sich herum errichtet. Aber seine Familie hatte sich stets Sorgen um seine Zukunft gemacht.
Hinten in der Kirche war das zufriedene Glucksen eines Babys zu hören. Drakes kleinem Neffen Rowan schien die Märchenhochzeit zu gefallen. Der Junge, der einst das Vermächtnis der Boscastles weitertragen würde, war der ganze Stolz seines überfürsorglichen Vaters, der wegen einer harmlosen Magenverstimmung Todesängste um seinen Sohn ausgestanden hatte. Drake lächelte in sich hinein. Bald würde auch er ein paar dieser übermütigen Erdenbürger in die Welt setzen. Seine Kinder würden von einer liebevollen Mutter aufgezogen werden, die bereits reichlich Erfahrung mit ihren Schützlingen gesammelt hatte.
Eloise war atemberaubend schön. Ihr Gesicht leuchtete vor Glück. Nicht einmal der Bluterguss an ihrer Wange vermochte ihre Schönheit zu trüben, ein Makel, der ihn daran erinnerte, wie gefährlich nah daran er gewesen war, sie zu verlieren. Er schluckte schwer beim Gedanken an ihr vor Entsetzen starres Gesicht.
Er hatte versprochen, sie zu beschützen, und er nahm sich fest vor, dieses Gelöbnis einzuhalten. Niemals wieder durfte ihr ein Leid geschehen. Und Drake fragte sich verwundert, wieso es ihm noch vor kurzer Zeit völlig gleichgültig gewesen war, ob er lebte oder sterben müsste.
„Liebes Brautpaar, liebe Hochzeitsgäste“, begann der Priester mit feierlicher Stimme, und Drake sah aus den Augenwinkeln, wie sein Cousin Gabriel sich in eine der hinteren Kirchenbänke zwängte. An seiner Seite befand sich eine entfernte Cousine, die aschblonde
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