Ein Ballnachtstraum
hatte ihm nur als Ausrede gedient, Maribella kennenzulernen.
Widerstrebend wandte sich Drake von Eloise ab. „Percy verkehrt häufig im Haus eines gemeinsamen Freundes“, sagte er. „Vielleicht finde ich ihn dort mit Thalia. Und nein, ich wünsche keine Begleitung. Schon gar nicht deine.“
„Es wäre ratsam, wenn Sie Ihren Gehrock anlegen würden“, murmelte Miss Goodwin aus den Tiefen der Kutsche.
Drake sah den rothaarigen Diener, der in der Nähe herumlungerte und neugierig jedes Wort belauschte, an. „Bringen Sie Miss Goodwin nach Hause. Das ist kein Ort für eine sittsame junge Dame.“
Er hatte sich bereits einige Schritte von der Kutsche entfernt, als sie ihm maßregelnd hinterherrief: „Es ist auch kein Ort für einen Gentleman.“
Drake verzichtete auf eine Entgegnung, beschleunigte lediglich seine Schritte. Er hatte vermutlich mehr Nächte in Audreys Haus verbracht als in seinen eigenen vier Wänden, war aber niemandem Rechenschaft darüber schuldig. Doch dann drängte eine leise Stimme in ihm: „Frag sie doch, wo du ihrer Meinung nach hingehörst. Frag sie, ob sie dir Platz in ihrem Bett macht, um dein müdes Haupt an ihre üppigen Brüste zu betten. Frag sie.“
Es hatte zu regnen begonnen, und er hob sein dunkles markantes Gesicht in den Nachthimmel. Er hatte keine Lust, ins Haus zurückzukehren, um seinen Gehrock anzuziehen. Die Kälte würde ihn nicht stören. Vermutlich würde er sie gar nicht spüren. Vielleicht würde er nie wieder etwas spüren.
„Tu Buße, Sünder“, rief ein alter Mann in einem abgerissenen grauen Umhang ihm an der Straßenecke zu. „Tu Buße oder fahre zur Hölle.“
Drake bedachte ihn mit einem bitteren Lächeln. „Um Buße zu tun, ist es ein wenig zu spät, mein Freund.“
8. KAPITEL
Eloise verbrachte den Rest der Nacht in einem unruhigen Schlaf, aus dem sie immer wieder erwachte, um nachzusehen, ob Thalia oder ihr Bruder endlich zurückgekehrt waren.
Kurz vor Morgengrauen stand sie schließlich auf, wusch sich mit kaltem Wasser und kleidete sich im Dunkeln an. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Sir Thomas‘ Mutter Thalias Verschwinden erklären sollte. In der Küche brühte sie sich starken Tee auf und trug die Tasse in Thalias Zimmer, das leer und verlassen wirkte. Bei allem Verdruss, den das Mädchen ihr bereitete, hatte sie Thalia doch irgendwie ins Herz geschlossen.
Wenn das Mädchen von ihrem nächtlichen Abenteuer zurückkam, wäre sie nicht mehr die Gleiche. Sie hätte ihre Unschuld verloren. Eloise und auch Lord Thornton hatten ihre Pflicht vernachlässigt, sie zu beschützen. Obwohl Thalia ihren Ruin selbst verschuldete, so hatte Eloise die Verantwortung für sie übernommen und hatte versagt.
Sie stellte die Tasse auf den Frisiertisch und trat an die Nussbaumkommode, in der Thalia Briefe und Zeitungsausschnitte aus Skandalblättern aufbewahrte. Es dauerte nicht lange, bis sie einen Stapel eingesammelt hatte, den sie nach unten ins Wohnzimmer trug. Sie musste nicht lange suchen, bis sie auf jene Artikel stieß, in denen die Rede von der Familie Boscastle war.
Lord Drake wurde häufig im Zusammenhang mit Gesellschaftsskandalen erwähnt. Eine vernünftige Frau hätte die Schandblätter allesamt ins Feuer geworfen.
Eine Stunde später war Eloise immer noch in die spannende Lektüre vertieft, als sie von einem lauten Pochen an der Haustür aufgeschreckt wurde.
War das Duell vorüber?
War Thalia heimgekehrt? Oder hatte man sie geschändet in einer finsteren Gasse aufgefunden?
Sie erhob sich steifgliedrig, hielt immer noch ein paar Zeitungsausschnitte in der Hand. An der Tür zauderte sie.
Wer forderte so früh am Morgen Einlass, noch bevor die Küchenmagd auf war, um die Öfen zu heizen?
Sie öffnete die Tür einen Spalt. Die gebeugte Männergestalt in einem schäbigen braunen Mantel war weder Lord Drake noch dessen Cousin. Das Gesicht des Besuchers war der nebelgrauen Straße zugewandt, aber sie ahnte, dass er schlechte Nachricht brachte.
Das Duell im Park. Sie hoffte inständig, dass es nicht dazu gekommen war. Sie straffte die Schultern, die Kehle wurde ihr trocken, als der Mann den Kopf drehte und lächelte.
Ein eisiges Frösteln rieselte ihr über den Rücken, als sie ihn erkannte. Ralph Hawkins. Sie wollte die Tür zuschlagen, doch der Mann ahnte ihre Reaktion und stellte blitzschnell einen Fuß in den Spalt.
„Guten Morgen, Ellie“, grüßte er mit einem verschlagenen Lächeln und spähte neugierig in die Diele. „Freut mich,
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