Ein Ballnachtstraum
Frühstück verschieben. Ein anderes Mal, vielleicht.“
„Ich nehme dir Maribella gerne ab, wenn du das Interesse an ihr verloren hast“, rief Gabriel ihm nach, als Drake sich der Kutsche näherte. „Oder die Gouvernante. Vielleicht wartet sie in dem Wagen auf dich. Oder hast du sie letzte Nacht endgültig verscheucht?“
Drake war natürlich klar, dass Eloise nicht in den Park gekommen war, vermutlich hatte sie sich noch nicht von den Ereignissen der vergangenen Nacht erholt. Schade eigentlich, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, sich eine Belohnung für seine Mühen bei ihr abzuholen. Wieso finde ich sie eigentlich so entzückend?, fragte er sich verwundert. Sie verstand sich nicht aufs Kokettieren, zeigte auch kein Verständnis für seine scherzhaften Anspielungen, mit denen er das weibliche Geschlecht so gerne neckte.
Es bewies nur einmal wieder, welche unvorhersehbare Macht sinnliches Begehren darstellte. Offenbar wusste er nicht annähernd so viel über Erotik, wie er geglaubt hatte.
Zwei Lakaien in gepuderten Lockenperücken und roten Livrées öffneten ihm den Wagenschlag. Er stieg ein, und sein Blick begegnete der schönen Miss St. Ives. In einiger Entfernung am Wegrand nahm er ihre Leibwächter wahr, die vorgaben, in die andere Richtung zu schauen.
Die schöne Maribella trug ein schimmerndes Kleid aus aquamarinblauer Seide, der süße Duft nach Rosenessenz umwehte sie, als sie ihn mit einer trägen Geste einlud, neben ihr Platz zu nehmen. „Haben Sie das Duell gewonnen?“, fragte sie kühl, während sie ihn eingehend auf der Suche nach Blessuren musterte.
Er setzte sich ihr gegenüber. „Es war nur eine Farce“, sagte er, um nach kurzer Pause hinzuzufügen: „Ich dachte, Sie wollten mich nie Wiedersehen.“
„Dessen bin ich mir noch nicht sicher.“
Ein charmantes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie war eine verführerische Frau, daran gab es keinen Zweifel. Selbst bei Tageslicht sah sie aus wie eine strahlende Göttin mit ihrem makellos geschnittenen Gesicht und ihrer frostigen Anmut. Aber irgendetwas fehlte. Ihm war noch immer nicht klar, ob es an ihm lag oder an ihr.
Er erwiderte ihr Lächeln. „Und welchem Umstand verdanke ich die Ehre dieses überraschenden Besuches?“
„Darüber bin ich mir auch noch nicht schlüssig. Vielleicht könnte ich mich herablassen, Ihnen zu verzeihen.“
Er lachte. „Wie großzügig, Maribella.“
„Keineswegs. Ich bin habgierig und selbstsüchtig.“
„Niemand ist perfekt, meine Liebe.“
Ihr Lächeln schwand. Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, in dem er weniger sinnliches Begehren als kühle Berechnung entdeckte. Miss St. Ives Charakter wies tiefgründigere Facetten auf, als es der einer ungewöhnlich schönen Frau vermuten ließ, die sich für die Karriere einer Kurtisane entschieden hatte.
Drake lehnte den Kopf gegen die Samtpolster und schloss die Augen. Seit wann interessiere ich mich für den Charakter einer Frau?, fragte er sich gereizt. Und aus welchem Grund waren seine Gedanken bei einer anderen, statt sich zu überlegen, wie er Maribellas Gunst wiedergewinnen konnte?
Es war doch verrückt, dass er sich zu einer Frau hingezogen fühlte, die ihm lieber Strafpredigten hielt, als mit ihm das Bett zu teilen. Möglicherweise war er tatsächlich im Begriff, den Verstand zu verlieren.
Als er den leichten Druck von Maribellas Hand auf seinem Knie spürte, öffnete er die Augen. „Wozu haben Sie sich entschieden“, fragte sie leicht schmollend, „um Ihre Verfehlung wiedergutzumachen?“
Er schaute innerlich schmunzelnd auf ihre Hand. Einen flüchtigen Moment hatte er geglaubt, den Hauch eines Dialekts in ihrer Stimme zu hören. Hatte er nicht irgendwo gelesen, sie sei in einem kleinen Ort in den italienischen Alpen aufgewachsen? Es wäre empfehlenswert, etwas mehr über ihren Hintergrund zu erfahren, bevor er sie zur Mätresse nahm.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit war allerdings auszuschließen, dass Maribella als Spionin für eine feindliche Macht arbeitete, zumal Drake längst kein politischer Geheimnisträger mehr war. In Kriegszeiten war es ihm ein Bedürfnis gewesen, seinem Land und der Krone als Geheimagent zu dienen. Aber diese Zeiten lagen längst hinter ihm. Allerdings würde er sich hüten, einer Frau Vertrauen zu schenken, die ihm ein falsches Bild von sich vorgaukelte. Eine Mätresse sollte nicht nur Geliebte eines Mannes sein, sondern auch seine Vertraute.
„An welche Art der Wiedergutmachung haben Sie denn gedacht,
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