Ein Ballnachtstraum
geraten war.
War es ihre Schuld, dass sie beinahe einen Betrüger und Taugenichts geheiratet hätte? War es ihre Schuld, dass Ihr Dienstherr kaum einen Deut besser zu sein schien? War es verwerflich, dass sie so lange im Badewasser lag, bis die Haut an ihren Fingerkuppen schrumpelig wurde und aussah wie Rosinen?
Schließlich erhob sie sich widerstrebend aus dem lauwarm gewordenen Wasser und griff hinter sich nach dem Badetuch, das sie auf einem Stuhl bereit gelegt hatte. Sie fröstelte, wollte ihr Nachthemd überstreifen, unter die Decke kriechen und schlafen, in der Hoffnung, dass ihre Situation sich am nächsten Morgen auf wunderbare Weise zum Guten gewendet hätte.
„Wo ist denn der Stuhl?“, murmelte sie, während sie ihr volles langes Haar zu einem Zopf drehte, um das Wasser auszuwringen. „Reicht es denn nicht, dass ich das Mädchen verloren habe und vermutlich auch meine Stellung? Und nun ist auch der Stuhl nicht mehr da. Bald verliere ich auch noch meinen Verstand. Eloise, du bist ein hoffnungsloser Fall.“
Sie warf das Haar über die Schulter und ging mit bloßen Füßen zum Fenster. Als sie in die Badewanne gestiegen war, war noch heller Tag gewesen. Nun zeigte sich der Himmel in der Abenddämmerung in einem dunstigen Lavendelblau, die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Dächer der Stadt.
„Ich liebe London“, flüsterte sie verträumt. „Bitte, lieber Gott, lass nicht zu, dass ich aus dieser Stadt fort muss.“
Sie lächelte ein wenig schuldbewusst. Normalerweise sprach sie ihr Abendgebet nicht nackt am Fenster stehend. Aber ihr Nachthemd befand sich nicht dort, wo sie es hingetan hatte. Sie schaute sich suchend um, entdeckte weder die frische Unterwäsche, die sie auf einem anderen Stuhl bereitgelegt hatte, noch das Möbelstück. Auch dieser Stuhl war verschwunden. Völlig unverständlich, denn Eloise war eine ordnungsliebende Frau.
Ein kalter Schauder rieselte ihr über den Rücken, als sie sich umdrehte und eine dunkle Gestalt in der dunklen Zimmerecke wahrnahm. „Grundgütiger“, entfuhr es ihr, die Kehle war ihr wie ausgetrocknet. Nun sah sie auch noch Gespenster.
Sie kniff die Augen zu, um die Fassung zurückzugewinnen. Als sie die Augen wieder öffnete, war Drake Boscastle immer noch da. Und sie war immer noch nackt. Splitternackt. Und es wäre keineswegs unangebracht gewesen, laut um Hilfe zu schreien.
Dieser Skandal. Splitterfasernackt vor einem Mann herumzuspazieren. Sie fragte sich, ob er vor Schreck und Verlegenheit verstummt war. Allerdings las sie in seinem angespannten Gesichtsausdruck keineswegs Verlegenheit, sondern Verlangen.
Sündiges, verbotenes, unverhohlenes Verlangen.
Aber er befand sich in ihrem Zimmer, er war in ihre Privatsphäre eingedrungen, nicht umgekehrt. Auch ein Lord war verpflichtet, sich an gewisse Anstandsregeln zu halten.
„Ich bin sprachlos“, brachte sie mit erstickter Stimme hervor. „Ich bin fassungslos. Das ist völlig inakzeptabel, Mylord. Skrupellos, skandalös, empörend. Ich finde keine Worte, meine Entrüstung auszudrücken, den schamlosen Blicken eines Voyeurs ausgesetzt zu sein. Als sei ich Lady … Lady …“
„Lady Godiva?“, ergänzte er fragend, während er sie weiterhin völlig ungerührt mit begehrlichen Blicken verschlang.
„Ja … Nein.“ Eloise furchte die Stirn. „Sie saß auf einem Pferd und war von ihren Haaren verhüllt. Und sie tat es freiwillig, und es ging um …“
„Steuern?“, fragte er mit funkelnden Augen.
„Ja, es ging um Steuern, die den Bewohnern erlassen werden sollten … Nein, ich bin entsetzt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Dafür reden Sie aber reichlich viel. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn Sie in Plauderstimmung sind.“ Seine tiefe melodische Stimme jagte einen Hitzeschwall in ihre Leibesmitte. „Während ich Worte unzulänglich finde, um meine Empfindungen in diesem Moment zu schildern.“
Sie schritt rückwärts zum Waschtisch. „Und ich weiß nicht …“
„Wo ein Handtuch ist?“ Er lächelte. „Und Ihre Unterwäsche?“ Er trat auf sie zu. Erst in diesem Augenblick erkannte sie, dass er ihre Kleider über dem Arm trug.
Sie verengte die Augen. Sie konnte weder den Schrank noch ihr Bett erreichen, um ihre Blößen zu bedecken, ohne ihm den nackten Rücken zuzuwenden. Auch hinter dem Wandschirm konnte sie nicht Schutz suchen, da er direkt daneben stand und sie dicht an ihm vorbei müsste. Allerdings konnte sie nicht ewig so verharren und
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