Ein Ballnachtstraum
schnell ich konnte.“
Drake schüttelte den Kopf. Er wollte diesem Haus entfliehen, in Wahrheit aber wollte er seinen eigenen Empfindungen entfliehen. Er brauchte eine Flasche Brandy und einen ausgiebigen Spaziergang an der frischen Luft. „Es ist vorbei. Alles in bester Ordnung.“
„Was war denn los?“ Devon reichte dem Stubenmädchen, das ihm gefolgt war, Hut und Handschuhe.
„Nichts. Grayson fürchtete, das Baby habe eine Darmgrippe und liege im Sterben. Es waren aber nur Blähungen.“ Er wollte die Treppe hinunter.
„Heißt das, nur ein quer liegender Wind hat die ganze Aufregung ausgelöst?“
„Ja.“
„Tja. Hast du Lust, mich in den Club zu begleiten?“ „Nein.“
„Du bist schlecht gelaunt, wie?“ „Und wenn schon?“
„Nichts“, entgegnete Devon achselzuckend. „Ich stelle nur fest, dass du schlecht gelaunt bist. Hat Eloise Goodwin etwas damit zu tun?“
„Hör auf damit!“, befahl Drake gereizt.
„Womit denn?“
„Du gehst mir auf die Nerven.“
„Ich will doch nur wissen, ob deine schlechte Laune etwas mit dieser Frau zu tun hat.“
Drake wandte den Blick ab. „Es ist mir eben lästig, weiter nichts.“
Devon war verwirrt. „Ich stelle dir ständig Fragen, und die waren dir bisher nie lästig. Nun ja, jedenfalls nicht besonders lästig. Du hast immer so getan, als sei dir das gleichgültig. Es sei denn …“ In seinen Augen glühte ein ahnungsvolles Funkeln. „Es sei denn …“
„Es sei denn, was?“ Drake lehnte sich gegen das Treppengeländer.
Devon zog die Schultern hoch. „Ach nichts.“
Drakes Gesicht verdunkelte sich. „Es sei denn, was, Herrgott noch mal?“
„Na ja.“ Devon begutachtete seine Schuhspitzen. „Es sei denn, es liegt dir daran.“
Drakes Stimme nahm einen bedrohlichen Klang an. „Woran soll mir etwas liegen?“
„An wem“, murmelte Devon.
„Willst du damit etwa andeuten …“ Drake starrte ihn mit einem feindseligen Blick an, der seine Wirkung verfehlte, da Devon sich weigerte, ihn zu erwidern. „Ich hoffe bei Gott, dass du nicht unterstellst, was ich befürchte.“
Devon sah auf. „Ich unterstelle gar nichts, ehrlich. Und es liegt mir fern zu unterstellen, dass du überempfindlich auf dieses Thema reagierst.“
„Und von welchem Thema sprichst du?“
„Ich glaube“, antwortete Devon, der dem glühenden Blick des älteren Bruders nun mutig begegnete, „es handelt sich bei dem Thema um die entzückende Dame, mit der du mich heute bekannt gemacht hast.“
„Das stimmt nicht“, beeilte Drake sich zu widersprechen.
„Was denn? Dass sie das Thema ist oder dass du überempfindlich reagierst, wenn von ihr die Rede ist?“
Drake kniff die Augen zusammen. „Ich zähle jetzt bis fünf, und wenn du dann immer noch hier herumstehst, werfe ich dich kopfüber die Treppe hinunter.“
Er zählte bis fünf, und als er die Augen wieder öffnete, war Devon verschwunden. Und wäre Drake nicht schon in düsterer Stimmung gewesen, wäre es gewiss in diesem Moment so weit gewesen.
Er begab sich nach unten in Graysons Arbeitszimmer und machte sich über die Flasche französischen Cognac auf der Anrichte her. Als kleiner Junge hatte er sich oft in diesem Raum aufgehalten in der Hoffnung auf ein freundliches Wort von seinem Vater. Das war nie gekommen. Kein Wort, kein Lächeln, kein Schulterklopfen.
Seit er denken konnte, hatte er um die Zuneigung seines Vaters gebuhlt, war aber immer in Streit mit ihm geraten, hatte den väterlichen Zorn durch ständiges Aufbegehren und Ungehorsam heraufbeschworen. Drake entsann sich bis zum heutigen Tag an eine Situation, als seine Mutter ihm nach einer besonders beschämenden Zurechtweisung seines Vaters zugeflüstert hatte: „Er bestraft dich nur so streng, weil du ihm zu ähnlich bist. Er kämpft sein ganzes Leben gegen die Dämonen in seiner Seele an. Ich glaube, er hat das Gefühl, er müsse diese Dämonen auch dir austreiben.“
„Es ist ihm nicht gelungen“, sagte Drake halblaut und öffnete die Augen. „Die Dämonen sind immer noch da.“
Sein Vater Royden Boscastle hatte ein leidenschaftliches und launisches Naturell, war Beschützer und Tyrann zugleich. Drake hatte bis heute das Gefühl, seinen Vater nie wirklich verstanden zu haben, ebenso wenig wie er sich selbst verstand. Aber sie waren einander sehr ähnlich, das war auch die einhellige Meinung der Familie. Und das war kein ermunternder Gedanke.
Drake verließ das Haus.
Er hatte vorgehabt, Maribella St. Ives einen Besuch
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