Ein Ballnachtstraum
begegnet war, als er Eloise im Garten geküsst hatte. Der Gedanke an sie löste plötzlich ein mächtiges Sehnen in ihm aus, und er war sich plötzlich nicht mehr sicher, wie lange er auf ihre Entscheidung warten konnte. Aber er musste sich in Geduld üben, um sie nicht zu verscheuchen. Obgleich er sie kaum kannte, wusste er genau, was er wollte. Und wie er sein Ziel erreichen würde. Die Möglichkeit, dass sie ihn abweisen könnte, kam ihm gar nicht erst in den Sinn.
Wo hatte er den Mann im Garten nur schon einmal gesehen? Wo nur? Im Club? Der Diener eines Freundes? Hatte er ihn bespitzelt oder Eloise?
Er verlangsamte seine Schritte. Er war nur wenige Minuten vom Haus seines Bruders Grayson in der Park Lane entfernt. Früher ein berüchtigter Lebemann, hatte Gray durch seine warmherzige Gemahlin Jane und ihren kleinen Sohn einen Wandel vollzogen und sich vom Saulus zum Paulus geläutert. Grayson wurde allseits dafür geschätzt, in jeder Lebenslage einen kühlen Kopf zu bewahren.
Als Drake bei ihm vorsprach, war sein Bruder allerdings keineswegs kühl und gelassen. Ganz im Gegenteil: Das ganze Haus war in hellem Aufruhr. Dienstboten eilten mit besorgten Mienen treppauf und treppab, trugen Krüge mit heißem Wasser nach oben, Kompressen und Spielsachen sowie eine Flasche Sherry.
Der langjährige Butler Weed legte Drake die Hände auf die Schultern, als sie sich auf dem Treppenabsatz begegneten. Nichts und niemand konnte den alten Weed je aus der Fassung bringen, und er musste sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs befinden, um ein Mitglied der Familie so vertraulich zu begrüßen.
„Gottlob, dass Sie hier sind“, stieß er in höchster Not hervor. „Der Marquess ist in einem schrecklichen Zustand.“
„Ist er krank?“, fragte Drake.
„Nein, Lord Drake. Es geht um seinen Sohn, der junge Lord fiebert, und wir sind tief besorgt.“
„Haben Sie einen Arzt holen lassen?“
Weed rang die Hände. „Drei Lakaien sind unterwegs, um einen Arzt zu holen.“
Kurz darauf fand Drake seinen ältesten Bruder im Kinderzimmer, in dem genug Kerzen brannten, um das ganze West End zu erleuchten. Grayson, eine hochgewachsene, hoheitsvolle Erscheinung, wanderte auf bloßen Füßen in einem schwarzseidenen Morgenmantel und wirrem Haar besorgt im Zimmer auf und ab. Der Säugling lag dick vermummt in Decken gewickelt in seiner Wiege und schrie mit rotem Gesicht zum Steinerweichen.
Gray fuhr herum wie ein aufgebrachter Feldherr. „Ach, du bist es nur“, murmelte er enttäuscht, als Drake die Tür hinter sich zumachte. „Wo bleibt denn nur dieser gottverdammte Arzt? Ich reiße ihm die Perücke vom Kopf, mich so lange warten zu lassen. Ist dir die Kräuterheilerin begegnet oder der Apotheker?“
Drake blickte seinen Bruder verblüfft an. Noch nie hatte er ihn in einem ähnlich verstörten und hilflosen Zustand erlebt. Er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte, hatte ebenso wenig Ahnung wie Gray, wie man mit einem Säugling umgehen sollte. „Wo ist denn Jane?“, fragte er schließlich.
Grayson stand mit verzweifelter Miene über die Wiege gebeugt. „Sie ist bei ihren Eltern. Ich habe bereits einen Boten nach ihr geschickt. Mein Gott, wenn er stirbt, bevor sie wiederkommt? Steh nicht herum und starre mich an, sag mir lieber, was ich tun soll.“
Drake hatte Angst, sich der Wiege zu nähern. „Ich habe keinen blassen Schimmer, was du tun sollst. Die einzige Erfahrung, die ich mit Krankheiten habe, habe ich auf dem Schlachtfeld gesammelt. Wenn Soldaten vom Wundfieber nach einem Bajonettstich befallen waren.“
„Sehr hilfreich!“, schnappte Grayson. „Denkst du, ich lasse meinen Sohn mit einem Bajonett spielen? Was willst du eigentlich? Außer Trinken und Huren und Kriegspielen interessiert dich nichts. Daraus besteht doch dein Leben.“
Drake blieb ruhig, da Grayson in seiner Verzweiflung offenbar nicht wusste, was er von sich gab. Dennoch versetzte ihm sein unerwarteter Vorwurf einen Stich. „Wo ist denn das Kindermädchen?“
„Ich habe die dumme Person rausgeworfen!“
Drake fühlte sich von der Sorge und Verzweiflung seines Bruders angesteckt, überwand seine Beklommenheit und machte einen vorsichtigen Schritt auf das sich windende und schreiende Bündel in der Wiege zu. „Warum hast du ihr gekündigt?“
„Sie ist schuld daran, dass mein Kind Fieber bekommen hat, das ist der Grund. Die Frau ist unfähig und plappert den ganzen Tag nur wie ein Wasserfall. Hätte sie besser auf meinen Sohn
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