Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
hat. Böse ist ein Koch, der nur die Klappe aufreißt
und dem es egal ist, dass er gestern etwas vollmundig versprochen hat, es aber wieder nicht auf die Reihe kriegt. Gut ist ein gut besuchtes Restaurant, das die Gäste glücklich und zufrieden verlassen und mit dem man Geld verdient. Böse ist ein Restaurant, das nicht läuft und dessen Köche sich nach der Arbeit deprimiert fühlen oder sich schämen.
In einer Küche bei Hochbetrieb fragt sich niemand, ob es einen Gott gibt. Oder ob man sich den richtigen Gott ausgesucht hat.
Außer vielleicht David Chang.
»Hass und Wut sind mein Antrieb«, sagt David Chang. »Das treibt mich schon viel zu lange um.«
Wie immer, wenn ich mich mit ihm treffe, wirkt er verwirrt und vollkommen daneben - als ob er einfach nicht begreift, was gerade passiert oder was passieren wird. Er verhält sich wie jemand, der glaubt, was immer das Schicksal für ihn in petto hält, es kann nichts Gutes sein.
»Hey«, sagt er, »ich hatte gerade eine Lumbalpunktion!«
Zwei Tage zuvor war er mit den schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens aufgewacht, einem stechenden, brutalen Schmerz in seinem Schädel, der so heftig war, dass er sofort ins Krankenhaus fuhr, weil er überzeugt war, dass er eine Hirnblutung hatte. Er wirkt seltsam enttäuscht, weil bei den Untersuchungen nichts gefunden wurde.
Andere erfolgreiche Küchenchefs verziehen meist das Gesicht, wenn man David Chang erwähnt. Selbst diejenigen, die ihn und seine Restaurants mögen, zucken sichtlich zusammen - vermutlich erschöpft von den unglaublichen und endlosen Lobeshymnen für den Zweiunddreißigjährigen, der so schnell zwei Michelin-Sterne bekam, von Food
and Wine zum besten neuen Küchenchef gekürt wurde, von GQ zum Koch des Jahres, ebenso von Bon Appetit und dazu noch drei James Beard Awards erhielt. Sie beobachten mit einer Mischung aus Neid und Staunen, wie er sich mühelos die Blogosphäre gefügig gemacht und die Presse wie eine tanzende Kobra hypnotisiert hat. Für die großen Küchenchefs Frankreichs und Spaniens - und nicht nur die großen, auch die coolen - ist ein Besuch in einem seiner Restaurants offenbar Pflicht. Da sitzen sie dann fröhlich an der Bar und essen mit den Fingern. Ruth Reichl behandelt ihn wie ihren eigenen Sohn. Alice Waters auch. Martha Stewart betet ihn an. Der New Yorker lässt ihm gleich die Komplettbehandlung zukommen, ein ausführliches, tiefgründiges und bewunderndes Porträt, wie es normalerweise Wirtschaftsbossen oder Staatsmännern vorbehalten ist. Charlie Rose lädt ihn in seine Talkshow ein und interviewt ihn wie Eine Bedeutende Persönlichkeit. Und während ihn die Welt zum Küchengott erhebt, flucht Chang weiter in aller Öffentlichkeit wie ein Marineinfanterist mit Tourettesyndrom, wütet unüberlegt gegen seine Feinde, verweigert den Restaurantkritikern die gewohnten Privilegien, beleidigt genau die Foodblogger, die zu seinem legendären Ruf beitrugen - und führt sich allgemein auf wie jemand, der gerade erst aufgewacht ist und festgestellt hat, dass er sechs Richtige im Lotto hat. Wenn es ein typisches Zitat von David Chang gäbe, das man auf T-Shirts druckt, dann wäre es »Scheiße! Ich weiß es nicht!« - seine beste Erklärung für alles, was passiert. Er liebäugelt weiterhin mit Angeboten, die ihn zum vielfachen Millionär machen würden, lehnt sie dann aber ab. Sein Restaurant, das Momofuku Ko, ist mit seinen zwölf Plätzen das
gefragteste Lokal Amerikas, es ist nahezu unmöglich, einen Tisch zu reservieren. Er ist unbestritten ein Star.
»Er ist kein sooo toller Küchenchef«, sagt ein sehr, sehr berühmter Küchenchef, der eigentlich keinen Grund haben sollte, sich von Chang bedroht zu fühlen. Chang ist für seinen Geschmack einfach noch nicht lange genug dabei. Von seinem mühsam erreichten und schwer umkämpften Platz aus betrachtet, ganz oben an der Spitze, hat Chang einfach noch nicht genug geleistet. »Er ist nicht einmal ein richtig guter Koch«, sagt ein anderer.
Beide Aussagen übersehen das Wesentliche.
Es läuft richtig gut, trotzdem ist Chang wie üblich mies drauf. »Ich fühle mich dauernd am Arsch. Wann hört das endlich auf?«
Man kann den Kerl lieben oder hassen oder sagen, er würde hochgejubelt, es ist jedoch ganz einfach so, dass David Chang zurzeit der wichtigste Küchenchef Amerikas ist. Das ist ein wichtiger Unterschied. Er ist kein großartiger Küchenchef - er wäre der Erste, der das zugibt -, er ist noch nicht einmal sonderlich
Weitere Kostenlose Bücher