Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
erfahren. Es gibt viele bessere, talentiertere, handwerklich versiertere Köche in New York City. Aber er ist ein wichtiger Mann, der in erstaunlich kurzer Zeit die Restaurantszene aufgemischt hat, der ein neues Konzept für hochklassige Restaurants gefunden hat und nicht nur einmal, sondern gleich zwei-, dreimal genau den Zeitgeist getroffen hat, dessen Parameter andere immer noch zu identifizieren versuchen (und am liebsten in eine Flasche abfüllen wollen). Das hebt ihn von den anderen ab, dadurch ist er ihnen voraus - und genau das treibt einige Küchenchefs so um.
David Chang als Küchenchef zu bezeichnen wird weder ihm noch dem Wort gerecht. David Chang ist … anders.
Im gnadenlosen Restaurantgeschäft ist eine gute Idee das eine. Es ist jedoch etwas ganz anderes, diese auch umzusetzen. Wenn man geschickt ist und Glück hat, kann man die Idee verwirklichen. Dann besteht die Herausforderung darin, sie zu bewahren, weiterzuentwickeln und schließlich (ganz wichtig!) das nicht irgendwie unterwegs zu versauen. Das Bemerkenswerteste an David Changs Aufstieg ist wahrscheinlich, dass er es versaut hat. Zweimal. Aber dieses Scheitern war notwendig für seinen späteren Erfolg. Sein erstes Restaurant, die Momofuku Noodle Bar, sollte genau das sein, was der Name versprach - ein Lokal, wo Nudeln verkauft werden. Sein zweites Restaurant, das Momofuku Ssäm, hatte ein etwas schwachsinnigeres Konzept: ein Lokal, in dem koreanische Burritos angeboten wurden. Erst als Chang und sein Team ihrem sicheren Verderben entgegensahen, hilflos die Hände rangen und wie eine Baseballmannschaft, die im zweiten Inning sechzehn Runs zurückliegt, sagten: »Was soll’s … machen wir das Beste daraus. Versuchen wir’s und sehen wir zu, dass es wenigstens Spaß macht«, erst dann traf er zweimal genau den Nerv der Popkultur. Die Noodle Bar ist für alles mögliche berühmt, nur nicht für Nudeln. Und im Ssäm bestellt kein Mensch Burritos.
Chang ist bekannt dafür, dass die Arbeit ihn auffrisst - und dafür, dass er sich viel zu oft die Frage stellt, wohin der ganze Zirkus steuert. Wenn man ihn im Fernsehen sieht, denkt man, der Mann habe eine Neurose; ein Eindruck, den er mit einem Schulterzucken und einem schuldbewussten,
verwirrten Lächeln nach dem Motto »Wer, ich?« noch bestärkt. Aber einer muss das Geschäft am Laufen halten. Und einer muss die Peitsche schwingen und die Mitarbeiter antreiben. Er ist berüchtigt für seine Wutausbrüche. Wer sie zum ersten Mal erlebt, beschreibt sie als »furchteinflößend«, »fast kataleptisch« und »scheinbar grundlos«. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn Chang Löcher in die Wände seiner Küchen drischt - mittlerweile sind es so viele, dass seine Köche sie scherzhaft als Designmerkmal bezeichnen. Er leidet regelmäßig unter lähmenden Kopfschmerzen, mysteriösen Taubheitsgefühlen in den Gliedern, Gürtelrose - und sämtlichen weiteren stressbedingten Krankheiten.
Er weiß sehr gut, dass er vor den versammelten Kennern der Restaurantszene einen Drahtseilakt vollführt - und dass viele, wahrscheinlich sogar die meisten, nur allzu glücklich wären, wenn er mit dem Gesicht voraus in der Scheiße landen würde. Es ist ganz typisch für bestimmte Angehörige der kulinarischen Elite, dass sie sich insgeheim wünschen, dass ihr Lieblingsrestaurant scheitert. Zu töten, was man liebt, ist ein Urinstinkt. Zuerst »entdeckt« man ein aufregendes neues Lokal, einen unglaublich kreativen Koch an einem völlig unerwarteten Ort. Man erzählt es all seinen Freunden und schwärmt in seinem Blog überschwänglich davon. Monate später beklagt man sich dann, dass der junge Küchenchef dem Druck nicht gewachsen sei, weil »jetzt jeder hingeht«, oder die Sache ist einfach nach einigen Monaten »durch«.
Es ist großartig, wenn man sagen kann, man hätte die beste Mahlzeit seines Lebens in der French Laundry gegessen. Man hebt sich jedoch deutlich mehr ab, wenn man
sagen kann, man habe im Rakel gegessen, Thomas Kellers längst geschlossenem Restaurant in SoHo, »damals«, und habe natürlich bereits dort sein Genie erkannt. Als das Restaurant zumachen musste und Keller die Stadt verließ, entstand dadurch sofort eine goldene Ära, eine Erfahrung, die ganz wenige hatten und die niemand wiederholen kann, egal, zu welchem Preis. Anders als in England, wo Leute oft hochgejubelt werden, damit man sie dann genüsslich verreißen kann, ist die Bewunderung und Anerkennung für einen Küchenchef in den USA
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