Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
wirklich aufrichtig. Dennoch erwartet man instinktiv, dass er scheitert. Außerdem gibt es wie in der Musik leidenschaftliche Fans, die einen regelrechten Kult aufbauen. Wenn sich das Objekt der Anbetung erdreistet, populär zu werden, heißt es schnell: »War früher einmal gut.« Als großer Musikfan - für den das Anhören von Electric Ladyland auf Vinyl das pure Crack ist und der in helle Aufregung versetzt wird, wenn Indie-Musiker, von denen die meisten noch nie gehört haben, in seine Restaurants kommen - kennt Chang diesen destruktiven Impuls. Andere Küchenchefs, die derart unter Beobachtung stehen (die schon länger mit dabei sind und seit Jahren an der Spitze stehen), gehen das Problem indirekt an, mit einer subtilen Mischung aus guter Aufklärungsarbeit und dem beständigen Bemühen um diejenigen, die sie eines Tages verletzen könnten.
Chang packt den Stier bei den Hörnern, er sagt allen und jedem - vermutlich noch bevor man selbst darauf kommt: »Ja klar, jede Minute kann alles vorbei sein.« Die einzige Möglichkeit, darauf zu reagieren, so beschleicht einen der Verdacht, ist, SOFORT in seinen Restaurants zu essen. Man
kann sich David Chang sehr gut als Protagonisten eines lehrhaften Schauspiels im Stil der Ikarusgeschichte vorstellen, das macht wohl auch seinen Reiz aus. Wenn man ihn kennenlernt, drängt sich einem automatisch der Gedanke auf, dass er zu hoch fliegen, sich verbrennen und abstürzen wird. Es gibt sogar eine Website namens MomoWatch, die sämtliche Entwicklungen in Changs Welt verfolgt - wenn nötig, wird sie im Stundentakt aktualisiert.
Jeder Schritt, jede Bemerkung werden mit einer Genauigkeit und Faszination verfolgt, die einmalig sind in der kulinarischen Welt. Marco Pierre Whites Großtaten als erster Rockstar unter den Köchen und Gordon Ramsays verbale Entgleisungen waren ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Die Leute, die Chang beobachten und über ihn schreiben, sind größtenteils intelligent und kennen sich mit Restaurants aus. Sie wissen genau, wo sie das Messer ansetzen müssen, um ihn zu erledigen, falls es einmal so weit kommen sollte.
Wie geht er damit um?
»Wut oder Angst … das wechselt. Die Wut brauche ich, um mich zu motivieren, Dinge auszuprobieren, die ich normalerweise nicht mache, denn ich bin ziemlich faul. Die Angst, um uns weiter anzutreiben, damit wir nicht wieder verlieren, was wir erreicht haben.«
Er konnte sich durchsetzen - dank einer Reihe wagemutiger Versuche, die kein richtiges Konzept haben, aber trotzdem funktionieren.
Als die Noodle Bar eröffnete, gefiel es vor allem Küchenchefs und Köchen, dass es ein Lokal gab, wo sie eine Schüssel Nudeln bei einem verrückten, griesgrämigen, überarbeiteten
koreanischen Amerikaner essen konnten, der (sehr kurz) für Tom Colicchio und später für Daniel Boulud gearbeitet hatte. Sie sahen ihm gerne zu, wie er seine Gäste anmeckerte; es gefiel ihnen, dass er sich, wenn sich Gäste beschwerten, es gebe zu wenige vegetarische Gerichte auf der Karte, umdrehte und zu fast jedem Gericht Schweinefleisch dazugab.
Es ist kein Zufall, dass fast all seine Restaurants so wirken, als seien sie ausschließlich für hungrige Köche und Leute aus der Branche gestaltet worden, die schon alles kennen. Bei der Eröffnung der Restaurants konnte man meinen, sie entsprächen einem kollektiven geheimen Verlangen. Alles, vom Thekendienst über die Speisekarte und die Musik bis zum Aussehen der Köche und der direkten Kommunikation mit ihnen, schien den Brancheninsidern zu sagen: »So geht das - so gut kann unser Geschäft sein, so viel Spaß kann es machen, wenn wir uns nur nicht um die verdammten Gäste kümmern müssten.«
Jetzt machen die Leute, die nicht aus der Branche sind, viel Aufhebens darum, das zu erleben, was einst das Privileg einer verkommenen, aber exklusiven Elite war. Wenn es das Kennzeichen eines erfolgreichen Küchenchefs ist, dass er brave Bürger als Stammgäste hat, die das essen, was Köche schon immer gerne aßen, dann ist David Chang ein sehr erfolgreicher Küchenchef. Dabei hat er jedoch einen Bereich demokratisiert, zu dem man einst nur Zugang erhielt, wenn man Brandnarben, schmerzende Füße, Rinderfett unter den Nägeln und Blasen an den Händen hatte. Für manche grenzt das an Verrat.
Bei meinem ersten Essen im Momofuku Ssäm war es ein ganz bestimmtes Gericht, das mir die Augen öffnete. Es war
wie ein Schlag auf den Hinterkopf. Es deutete darauf hin, dass hier wirklich etwas
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