Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
eines Geniestreichs? Eines ansonsten makellosen Erlebnisses?
Muss es so enden?
Und sollte es so enden? Dass man enorm kämpfen muss, um nicht die Toilette mit trüffeldurchsetzten Bröckchen zu verzieren?
Niemand erwartet, dass man jeden Tag so isst - nicht einmal jeden Monat. Aber selbst wenn es nur einmal im Jahr ist … sollte man nicht auch berücksichtigen, wie sich der Gast danach fühlt?
Ich sollte wohl darauf hinweisen, dass es ein völlig vernünftiges neungängiges Menü gibt. Wir entschieden uns bewusst für die Völlerei. Aber wenn man schon das Glück hat, im Per Se oder in der French Laundry zu speisen, möchte man nichts verpassen. Man isst viel zu viel. Zumindest ich.
Im frühen Abendlicht machte das Per Se gestern einen unvorteilhaften Eindruck. Vielleicht lag es auch an meinem neidischen Blick. Auf jeden Fall kein guter Anfang für mich. Ein Restaurant ist eine Bühne, eine kunstvolle Illusion, ein Zaubertrick, festgehalten zwischen vier Wänden. Der Speiseraum des Per Se ist mit seiner raffinierten Gestaltung einer der schönsten Räume in New York. Man hat einen weiten Blick über den Columbus Circle und den Central Park. Zwischen der Küche und dem Speisebereich ist ein breiter »Korridor«, luxuriös ungenutzter Raum, eine ruhige, friedliche Übergangszone, wo sich der Service von der Realität in der Küche auf die Realität im Gastraum umstellen kann.
Wenn es beim professionellen Kochen in erster Linie um Kontrolle geht, dann geht es beim Essen um Unterwerfung, darum, dass man sich entspannt und ohne nachzudenken der Illusion überlässt, die das Restaurant schaffen will. Im besten Fall sollte man nicht intellektuell aufarbeiten, was man gerade isst. Man sollte alles um sich herum ausblenden. Man sollte so erfreulich vertieft sein, dass man die Bewegungen der Kellner im Gastraum oder an der Durchreiche gar nicht mehr wahrnimmt und man nur ganz unbewusst merkt, wie die Zeit verstreicht. Wenn man das Essen vor sich auf dem Teller fotografiert - oder, schlimmer noch, sich kurze Beschreibungen für den späteren Blogeintrag notiert -, entgeht einem das Wesentliche. Man sollte überhaupt nichts mehr denken. Nur noch fühlen.
Mir fielen jedoch verschiedene Dinge auf. Das ist schlecht. Bevor es draußen dunkel wurde und alles in ein elegantes Dämmerlicht getaucht wurde, wirkten die Uniformen der Kellner ein bisschen traurig. An manchen Stellen abgewetzt und alt. Die Kellner sahen aus wie … Kellner und nicht mehr wie die Botschafter des kulinarischen Olymp, die sie in meiner Vorstellung immer gewesen waren. Ein Besteckschrank an der Wand neigte sich ganz leicht zur Seite und stand dadurch nicht im rechten Winkel zum Boden. Das Holz der Möbel war kaum wahrnehmbar, aber doch sichtbar fleckig, und die Rosen auf dem Tisch waren an den Blütenblättern schon ein kleines bisschen angewelkt. Für ein Restaurant, das wie die French Laundry für seine Perfektion auch in der Ausstattung des Gastraums bekannt ist, war das schockierend. Ich war traurig und deprimiert und schämte mich, weil es mir aufgefallen war.
Vielleicht hörte ich auch eine gewisse Traurigkeit in den Stimmen der Kellner heraus. Jonathan Benno, der Küchenchef, hatte vor einigen Wochen bekannt gegeben, dass er das Per Se verlassen würde. Wahrscheinlich bildete ich es mir nur ein, aber der Überschwang, der Stolz, in einem der besten Restaurants der Welt zu arbeiten, und das Selbstbewusstsein, das ich aus der French Laundry und von meinen früheren Besuchen im Per Se kannte, das alles fehlte an jenem Abend.
Es gab Kroketten. Zwei winzige, mit Käse gefüllte Kissen.
Und die berühmten Waffeltütchen mit Lachstatar. So hübsch und köstlich wie immer. Aber mittlerweile ein bisschen wie eine alte Freundin. Der Kitzel war weg. Kein Gericht ist derzeit so tot wie »Tatar«, und ich fragte mich, wie Benno wirklich über diese Gerichte dachte: Ob ihm die Waffeltütchen, einst Gegenstand kindlichen Staunens selbst bei so ausgebrannten Mistkerlen wie mir, inzwischen nicht wie die Gitterstäbe eines Gefängnisses vorkamen - zu beliebt, zu berühmt, zu sehr erwartet, als dass sie ein Küchenchef je von der Karte nehmen könnte.
Ich hatte ein ziemlich schwaches sommerliches Gemüsegazpacho, doch die süße Karottenvelouté meiner Frau war gut und klar im Geschmack mit Anklängen von Estragon und Anis.
Dann gab es für mich den Klassiker aus der French Laundry, »Oysters & Pearls«, eine der bekanntesten und einst meistbewunderten
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