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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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ganz Besonderes im Gange war. Es war die Abwandlung eines klassischen französischen Salats: Frisée aux lardons, quasi eine respektvolle Verneigung vor dem typischen Bistrogericht. Eine eher kleine Portion und mit Chicharrón garniert, knusprig gebratener Schweinehaut anstelle des üblichen Specks, gekrönt von einem wunderbaren, noch flüssigen, perfekt pochierten Wachtelei. Ziemlich gut - aber bis dahin nichts, was mich dazu verleiten würde, mir das Hemd vom Leib zu reißen und missionierend durch die Straßen zu ziehen. Doch der Salat war wild kombiniert mit einem würzigen Kutteleintopf koreanischen Stils - und das war … also das war genial. Da war einerseits alles, was ich an der modernen Küche hasse - noch dazu auf einem Teller versammelt. Es war »Fusionküche« - Chang kombinierte ein an sich vollkommenes Gericht der europäischen Küche mit asiatischen Zutaten und einer asiatischen Zubereitung. Es war postmodern und mit einer Garnitur versehen, die ich in diesen Tagen nicht ausstehen konnte: Ironie. Es war der Versuch, einen Klassiker der Bistroküche zu »verbessern«, obwohl er eigentlich nicht zu verbessern war. Wenn man nicht gerade Thomas Keller oder Ferran Adrià heißt, habe ich für diesen Ansatz überhaupt nichts übrig.
    Das war wirklich frech. Und verdammt köstlich. Trotz Kutteln! Für mich hatte dieses Essen auch eine moralische Dimension: Wer etwas unwiderstehlich Köstliches mit Kutteln zustande bringt und es schafft, dass die New Yorker das essen, ist meiner Meinung nach auf der Seite der Guten. Es war, als ob sich meine Lieblingsköche zusammengetan hätten und irgendwie eine perfekt abgestimmte Supermutanten-Babykost
kreiert hätten - in Korea. Ich hatte das Gefühl, dass alle Mahlzeiten, die ich in Zukunft in Edelrestaurants zu mir nehmen würde, diesem Gericht gleichen sollten: komplex, aber doch seltsam tröstlich und vertraut.
    Von außen sieht das Momofuku Ko aus wie ein After-Hour-Club - oder wie eine besonders zwielichtige Cocktaillounge. Es gibt kein Schild - nur Changs kleines Pfirsichlogo an einer alles andere als einladend wirkenden Tür. Man kann leicht zehn Minuten vor dem Lokal stehen, ohne es zu bemerken.
    Die Schwierigkeiten, eine Reservierung für einen der zwölf Plätze an der spartanisch wirkenden Bar zu bekommen, sind legendär - der Reservierungsvorgang ist einer der demokratischsten (und damit schmerzhaftesten) in der Welt der Gourmets. Man kann weder anrufen noch schreiben, auch Flehen oder gute Beziehungen helfen nicht. Man muss sich genau in der richtigen Sekunde auf der Website einloggen und schafft es dann entgegen aller Wahrscheinlichkeit, seine Bitte um eine Reservierung für genau sechs Tage im Voraus einzugeben. Das gelingt nur, wenn man sich gegen all die tausend anderen Leute durchsetzt, die genau dasselbe versuchen, in genau derselben Sekunde - keine einfache Aufgabe! Einen Platz im Ko ergattert man nur mit viel Zeit und durch ständiges Bemühen. Eventuell könnte man eine Heerschar von Leuten beschäftigen, die sich zur gleichen Zeit einloggen und versuchen zu reservieren (was die eigenen Chancen erhöhen könnte), doch abgesehen davon, gibt es keine Möglichkeit, das System auszutricksen. Es ist eine Lotterie. Für alle gelten die gleichen Regeln: Restaurantkritiker, Freunde - selbst für Changs Eltern.
Sie mussten ein Jahr warten, bis sie im Restaurant ihres eigenen Sohnes essen konnten.
    Die Speisekarte im Ko - ein festes Menü mit zehn Gängen abends (und sechzehn Gängen mittags) - ändert sich mit der Besetzung in der Küche und je nach Laune des Küchenchefs und der Köche, meist enthält sie jedoch Gerichte, die lange getestet und für gut befunden wurden. Der kreative Prozess, der jedem Gericht vorausgeht, ist mysteriös und wird kaum verstanden. Faule Journalisten neigen natürlich dazu, die Gerichte ausschließlich Chang zuzuschreiben - was dazu führt, dass die Gäste enttäuscht sind, wenn sie merken, wie selten er da ist. Wie von Anfang an beabsichtigt, ist Peter Serpico der Küchenchef im Ko - und ihn trifft man dort auch an.
    Bevor ein Gericht entsteht, geht ihm ein faszinierender Strom täglicher E-Mails zwischen Küchenchef und Köchen voraus. Zuvor gibt es zahlreiche Proben und Verkostungen, ebenso viele schließen sich an. Geistesblitze, die in fünf Worte gefasst sind, Botschaften mit über tausend Wörtern, in denen ein Erlebnis, ein Geschmack oder eine Möglichkeit genau beschrieben werden - ein Experiment, aus dem Großes

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