Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Süßigkeit, die einem die verwirrte Großmutter anderer Kinder zusteckt, weil sie meint, dass Kinder lustige Tierformen mögen. Die widerlich klingende Ganache mit schwarzem Pfeffer, Pfefferbutterstreuseln, marinierten Heidelbeeren mit Crème fraîche und Olivenöleis entpuppte sich, typisch für meine Erfahrungen im Momofuku, als unerwarteter freudiger Schock. Tatsächlich war dieses Dessert eines der Gerichte, die mir am längsten im Gedächtnis blieben - und an jenem Abend gab’s viele davon.
Changs »Stil« zu erkennen oder zu beschreiben, ist eine Herausforderung - weil er sich nicht festnageln lassen will und weil seine Menüs in Gemeinschaftsarbeit entstehen.
Immerhin gibt es einen Hinweis darauf, woher das alles kommt, und das ist die Zeit, die er im Café Boulud unter Andrew Carmellini arbeitete. Chang war für die Amuse Gueules zuständig - und musste eine ständig wechselnde Auswahl winziger und möglichst aufregender Gratisappetithappen zusammenstellen, meist aus den Zutaten, die gerade zur Hand waren. Die Idee des Amuse-Gueule besteht darin,
den Gaumen des Gasts als Vorbereitung auf das sorgfältig komponierte Menü »wach zu machen« oder zu »kitzeln«. Schnell, schön anzusehen und aromatisch - und vor allem »amüsant«. Der Koch, der die Amuses macht, ist normalerweise weniger an den »Küchenstil« gebunden. Es gibt weniger Regeln. Man darf sich beispielsweise von der französischen Küche ein bisschen entfernen, auch wenn im Lokal ansonsten streng französisch gekocht wird. Launen sind durchaus von Vorteil.
Weil David Chang ein interessanter Typ ist, der interessante Sachen macht, und weil er, was ungewöhnlich für einen Küchenchef in seiner Position ist, schlagfertig, impulsiv und undiplomatisch ist, stupsen ihn die Restaurantkritiker, Foodblogger und Fernsehleute laufend - in der durchaus vernünftigen Annahme, dass ihm etwas Zitierenswertes und hoffentlich sogar Skandalöses rausrutscht. Mit einer spontanen und nicht weiter ernst gemeinten Bemerkung wie »Ich hasse San Francisco - da legen sie doch nur blöde Feigen auf einen Teller« kann man locker ganze Wochen von Zeitungsartikeln und Blogkommentaren bestreiten. Chang muss man nicht einmal stupsen. Man muss einfach nur lange genug warten, dann gibt er sicher irgendwann etwas von sich, das irgendjemanden irgendwo verärgert. Gerade Gastrokritiker haben heutzutage Mühe, etwas wirklich Neues oder Bedeutendes für ihre Artikel zu finden. Sie sind ähnlich eingeschränkt wie jemand, der mit einer Vorliebe für vielfältige Adjektive Pornos schreiben muss. Und es ist verdammt schwer, mit der vielköpfigen, schnell reagierenden Blogosphäre mitzuhalten. Für einen Foodjournalisten, der normalerweise keine aufregenderen Themen als Muffins hat, ist
Chang-Watching eine wahre Goldgrube, ein Leben spendender Quell, der noch dazu unheimlich angesagt ist. Es gibt Journalisten, die Chang widerwillig bewundern und jeden seiner Schritte verfolgen, damit ihnen ja nicht entgeht, worüber sie als Nächstes schreiben oder reden sollten (»Das nächste große Ding!«), und Journalisten, die unter seiner schützenden äußeren Hülle die Verwundbarkeit spüren, seinen Leichtsinn - und seinen Schmerz - und darüber schreiben wollen. Und Leute wie mich, die einfach glücklich sind, dass es ihn gibt - aber es sich ebenfalls nicht verkneifen können, den Hobbypsychologen zu spielen.
»Warum will jeder wissen, was in seinem Kopf abläuft?«, fragt sein Freund und Koautor Peter Meehan. Dabei kennt er die Antwort.
Anders als alle anderen bekannten Küchenchefs stellt Chang seine Ängste und seine tief empfundenen Abneigungen offen zur Schau.
Chang möchte die anderen glauben machen, dass er weder Lob noch Erfolg verdient. Das sagt er den Journalisten schon seit einiger Zeit, was sehr entwaffnend wirkt. Immer wieder verweist er auf seine minimalen Qualifikationen und geringe Erfahrung - und vergleicht sich selbst hartnäckig mit anderen Küchenchefs, um dabei immer den Kürzeren zu ziehen. Man kann darüber streiten, ob das nur eine Pose ist. Ich würde sagen, nur weil er es immer wieder betont, muss das nicht heißen, dass es nicht stimmt.
»Ich wollte das alles gar nicht«, sagt er. Aber das nehme ich ihm dann doch nicht ab.
Immerhin war er als Kind ein begabter Golfspieler und gewann zahlreiche Turniere. Mit dreizehn gab er den Sport
auf. Seine Begründung: »Wenn ich jemanden nicht vernichtend schlagen kann, will ich gar nicht erst spielen. Das macht
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