Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
offensichtlich nicht ums Geld. Ständig expandiert er, gründet neue Kooperationen, probiert neue Konzepte aus. Mario, glaube ich, wird von seinem Ego und seiner Rastlosigkeit angetrieben. Batali war es nie genug, Geld zu machen, und er hat auch kein Interesse daran. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte er niemals das Babbo eröffnet oder das Casa Mono, das De Posto, das Otto oder das Esca. Er hätte seine Version der Old Spaghetti Factories von Küste zu Küste übers Land verteilt und würde heute in Geld schwimmen. Aber nein.
Mario, das ist verbürgt, schaut jeden Abend in einem seiner New Yorker Restaurants vorbei und befasst sich mit den Rezepten. Er kann sich für Details begeistern. Ihn macht es glücklich, wenn er ein Restaurant, dem die Leute keine Chance mehr gegeben haben, wieder mit Gästen füllt oder wenn er den Wareneinsatz unter zwanzig Prozent senken kann. Er macht gern die schwierigen, gefährlichen Sachen, wettet zum Beispiel darauf, dass Amerika jetzt in diesem Moment unbedingt Ravioli mit Kalbshirnfüllung braucht oder eine Pizza mit Schweineschmalz. Mario, da bin ich mir ziemlich sicher, würde vor Langeweile umkommen, wenn er zwar zehnmal oder zwanzigmal so viel Geld hätte, aber KEINE wagemutigen Restaurantkonzepte entwickeln könnte, die bislang keiner haben wollte.
Jede Unternehmung ist bei Mario eine Kooperation. Jedes Restaurant beginnt mit einer Allianz, einem Moment der Wahrheit, in dem Don Mario die Kreativität und den Charakter eines anderen bewertet, ihm ins Herz sieht und eine wichtige Entscheidung trifft. Ob das jeweilige Abenteuer, in das er sich stürzt, ein Erfolg wird oder ein Misserfolg,
ist somit schon lange vor der Eröffnung entschieden. Es geht nie nur ums Geschäft. Es ist immer, immer auch eine persönliche Angelegenheit.
Thomas Keller und Daniel Boulud, die jeweils ein erfolgreiches, hoch angesehenes Flaggschiff besitzen, haben verschiedentlich darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, fähige Leute zu halten und mit den Begabungen, Erfahrungen und Ambitionen loyaler Küchenchefs, Souschefs und anderer langjähriger Mitarbeiter zu wachsen, die es verdient haben, aufzusteigen oder »ihr eigenes Ding« zu machen. Es bleiben am Ende nur zwei Alternativen: Man expandiert, oder man verliert seine Leute.
Dem liegt vermutlich das Modell des französischen Michelin-Sterns zugrunde: Das Flaggschiff eines Dreisternekochs bringt schlichtweg nicht so viel Geld ein wie seine zwangloseren Bistros und Brasserien. Letztere subventionieren schließlich sogar das luxuriöse Original oder federn zumindest Verluste ab, wenn die Kosten im anspruchsvolleren Haus steigen und die Einkünfte sinken. Man kann in einem Dreisternerestaurant nicht jedes Mal, wenn man eine schlechte Woche hat, die Köche entlassen.
Gordon Ramsay ist wohl das Paradebeispiel für die Dynamik, die bekannte Küchenchefs ständig, ja automatisch zur Expansion zwingt. Ramsay hat mehrere Fernsehshows auf beiden Seiten des Atlantiks und baut weltweit den Bereich seiner Hotel-Restaurants ständig aus. Mit Hell’s Kitchen (In Teufels Küche) hat er die erfolgreichste Reality-Kochshow überhaupt. Er ist vielfacher Millionär, und trotzdem expandiert er immer weiter, auf eigenes Risiko, denn die zwölf Restaurants, die er in den vergangenen Jahren eröffnet hat,
müssen erst noch in die Gewinnzone kommen. Egal, was man von Ramsays Kochkünsten, seiner schauerlichen, aber sehr beliebten Sendung oder der viel besseren Show Kitchen Nightmares (Chef ohne Gnade) hält - ganz unzweifelhaft ist er ein Workaholic. Der Tag hat schon jetzt nicht genug Stunden, um seine diversen Unternehmungen alle unterzubringen, und trotzdem baut er sie immer noch weiter aus.
In Gordons Fall braucht man sich nur seine Kindheit anzusehen, die er in seiner Autobiografie schildert. Er wuchs in einer armen Familie auf, sein Vater war ein unzuverlässiger Träumer. Kaum hatte sich seine Familie irgendwo eingelebt, folgte schon der nächste Umzug, immer auf der Flucht vor den Geldeintreibern. Es ist völlig klar, was Gordon bewegt. Wahrscheinlich ein ähnlicher Impuls wie bei seinem einstigen Mentor und zeitweisen Rachegott Marco Pierre White. Egal, welche Reichtümer sie erworben haben oder noch anhäufen, sie werden die Befürchtung nicht los, dass am nächsten Morgen alles weg ist. Kein Betrag ist ihnen groß genug, denn ganz tief im Innern lauert die Furcht, dass jede Minute die Meute an die Tür klopft und ihnen alles wieder wegnimmt.
David
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