Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Chang, dessen wilder Ritt an die Spitze gerade erst begonnen hat, wird, wie ich vermute, von allen bisher erwähnten Motiven getrieben: einer tödlichen Kombination aus zu wenigen Sitzplätzen in seinem Toprestaurant, einer ständig steigenden Zahl fähiger loyaler Mitarbeiter und dem Gefühl, dass er nie gut genug sein wird.
Und dann gibt es da noch das Beispiel der französischen Michelin-Ikone, eines der berühmtesten und präsentesten Küchenchefs der Welt, gemessen an der Zahl seiner Restaurants,
der in meiner Gegenwart schlicht sagte: »Genug mit dem Bullshit. Höchste Zeit, Kohle zu machen.«
Eitelkeit hielt mich davon ab, der Imodium-Typ zu werden. Nicht etwa Integrität. Wenn ich Angebote ablehnte, dann nicht, weil ich »mir selbst treu« bleiben wollte. Ich war ganz einfach zu narzisstisch und ein bisschen zu sehr in mich selbst verliebt, als dass ich damit zurechtgekommen wäre, morgens im Spiegel dem Typ ins Gesicht zu sehen, der sich darüber beklagt, dass er die Kloschüssel mit Durchfall sprenkelt (bis ihn Imodium endlich errettet). In das Geschäft mit dem Kochgeschirr bin ich nicht eingestiegen, weil ich nicht eines Tages am Flughafen von einem unzufriedenen Kunden angemacht werden will, der sich darüber beschwert, dass ihm wegen der miesen Qualität der Pfanne die Paella angebrannt ist. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die sich nicht gern irgendwelchen Bullshit vorwerfen lässt, es sei denn, ich habe diesen Bullshit selber verzapft.
Deshalb habe ich auch nicht die vierzigtausend im Monat angenommen, die man mir dafür bot, meinen Namen auf ein South-Beach-Restaurant schreiben zu lassen. Ich hätte zwar nicht mehr dafür tun müssen, als hin und wieder dort aufzukreuzen, aber ich hätte doch im Rampenlicht gestanden. Wenn der Barkeeper in diesem von mir völlig fremden Menschen geleiteten Lokal einem einzigen minderjährigen Mädchen Alkohol ausgeschenkt hätte, einem Gast dort eine Date-Rape-Pille verabreicht worden wäre oder eine Ratte den Kopf aus der Kloschüssel gesteckt und jemandem in die Eier gebissen hätte, dann hätte es in den Boulevardzeitungen gleich »Skandal in Bourdain-Restaurant« geheißen, selbst wenn ich auf der anderen Seite des Erdballs gewesen
wäre. Und so was hätte sich schlecht mit meiner Vorstellung von mir selbst als jemand, der irgendwie über solchen Dingen steht, vertragen.
Doch als meine Tochter zur Welt kam und ich weiter »Nein« sagte, wusste ich, dass ich mir meine Jungfräulichkeit nicht aus Prinzip bewahrt hatte. Ich wartete nur darauf, sie an den richtigen Typen zu verlieren.
Happy End
I ch kam 1956 im New York Presbyterian Hospital zur Welt, doch aufgewachsen bin ich in einem gutbürgerlichen Viertel in Leonia, New Jersey.
Es mangelte mir nicht an Zuneigung oder Aufmerksamkeit. Meine Eltern liebten mich. Keiner von ihnen trank übermäßig. Ich wurde nicht geschlagen. Von Gott war nie die Rede, sodass ich von Religion, Kirche und der Angst vor Sünde und Verdammnis verschont blieb. Mein Zuhause war angefüllt mit Büchern und Musik - und oft auch mit Filmen. Als ich noch klein war, arbeitete mein Vater bei Willoughby’s, einem Fotoladen in Manhattan. Am Wochenende brachte er leihweise einen Sechzehn-Millimeter-Projektor und Filmklassiker mit. Später erhielt er eine leitende Stellung bei Columbia Records, sodass ich als Jugendlicher Schallplatten umsonst bekam. Als ich zwölf war, nahm er mich mit ins Musiktheater Fillmore East zu Konzerten von Mothers of Invention, Ten Years After und anderen Bands, die mich gerade interessierten.
Im Sommer grillten wir und spielten im Garten Wiffleball. In der Schule wurde ich nicht mehr gehänselt als jedes
andere Kind auch, vielleicht sogar ein bisschen weniger. An Weihnachten bekam ich das Fahrrad, das ich mir gewünscht hatte. Im Ferienlager wurde ich nie sexuell belästigt.
Ich fühlte mich elend. Und ich war wütend.
Ich wehrte mich heftig gegen den erstickenden Würgegriff der Liebe und Normalität in meinem Elternhaus - und verglich sie mit der Freiheit, die meine weniger behüteten Freunde genossen. Ich beneidete sie um ihre zerrütteten Familien, die meist leeren Häuser, die mangelnde Aufsicht. Die Geheimverstecke für die bizarren, leicht beängstigenden, aber faszinierenden Exotika ihrer Eltern: verwackelte Pornofilme, Beutelchen mit Gras, Pillen und Schnapsflaschen, deren Verschwinden oder langsames Entleeren niemand bemerkte. Die Eltern meiner Freunde hatten immer etwas anderes, Wichtigeres im
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