Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Sinn und ließen ihre Kinder verwahrlosen. Meine Freunde durften lange aufbleiben, bei anderen übernachten, wenn sie Lust darauf hatten, und in ihrem Zimmer Gras rauchen, ohne Angst haben zu müssen, dass es jemandem auffiel.
Ich war stocksauer. Warum konnte ich das nicht haben? In meinen Augen standen nur meine Eltern zwischen mir und einem bis zur Neige ausgekosteten Leben.
Ich bin nicht der Typ, der reuevoll zurückblickt und sich verwirrt fragt, wo genau er auf Abwege geraten ist. Später, wenn ich mal wieder in der Küche einer besonders gruseligen Klitsche stand, die nach allem Möglichen aussah, nur nicht nach einem richtigen Restaurant, schob ich die Schuld für meine alles andere als glänzende Karriere nie darauf, dass ich eine schlechte Wahl getroffen hatte, mit dem Heroin beispielsweise, oder in schlechte Gesellschaft geraten
war. Ich bezeichne meine Sucht nicht als »Krankheit« und habe das auch nie getan. Immerhin wollte ich schon mit zwölf unbedingt Junkie werden. Verbuchen wir es als Charakterschwäche, die sich schlicht in Drogen niederschlug, ein bockiges »Leck mich« an meine bürgerlichen Eltern, die die unverzeihliche Sünde begangen hatten, mich zu lieben.
Wenn ich ehrlich bin, kann ich im Rückblick sagen, dass ich, alles in allem, wahrscheinlich alles wieder genauso machen würde. Ich weiß, wie ich in diese schäbigen Küchen geraten bin, an die dampfenden Warmhaltetische, die speckigen Schneidemaschinen, warum ich immer wieder in der Vormittagsschicht Brunch machte: Ich wollte es so.
Das Leben war, zumindest in den schlechten alten Tagen, absolut fair zu mir. Das wusste ich auch.
Wann immer ich in irgendeinem McMilzbrand Bar & Grill arbeitete, fand ich, dass ich Glück hatte. Glück, am Leben zu sein, wenn man bedenkt, wie gefährlich es war, im New York der 1980er-Jahre täglich auf die Jagd nach Dope zu gehen. Glück, einigermaßen gesund zu sein, wenn man bedenkt, was um mich herum los war und dass so viele Leute, die mit mir in die Stadt gekommen waren, nicht mehr am Leben waren. Für mich gab es in dieser ganzen Zeit sogar Liebe, so unwahrscheinlich das auch klingen mag - eine langjährige kriminelle Liaison.
So ungern ich in schlechten Zeiten auch in der Küche stand, Eier vorpochierte, sie vom Löffel noch kurz ins Eiswasser gleiten ließ: Ich konnte niemandem einen Vorwurf machen. Wie gesagt, ich traf meine Entscheidungen selbst. Eine nach der anderen.
Aber natürlich könnte ich meinem Vater die Schuld geben, schätze ich. Für die Riesenfreude, die er mir machte, als er mir das Sgt.-Pepper’s -Album mitbrachte. Oder Disraeli Gears . Man könnte vielleicht sogar behaupten, dass so etwas bei einem Jungen meines Alters einen Appetit auf Zerstreuung, ja, Zerstörung weckt. Und mit neun Jahren war ich wahrscheinlich auch noch ein bisschen zu jung für Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben und die Erkenntnis, dass die Welt mit Sicherheit in einer nuklearen Apokalypse enden würde (und zwar bald). Und dass es ein komisches Ereignis sein würde. Das prägte womöglich die nihilistische Weltsicht, die ich mir später als lebensüberdrüssiger Elfjähriger zulegte.
Wenn man eines Tages eine Gefriertruhe voller toter Nutten oder Pfadfinder bei mir findet, werde ich es Dad in die Schuhe schieben - und Stanley Kubrick.
Wo wir schon bei den Schuldzuweisungen sind: Auf der Liste mit der Überschrift »Es ist alles eure Schuld, ihr habt mich zu dem gemacht, was ich bin!« stehen zwei klassische Kinderfilme ganz oben: Der rote Ballon und Sein Freund Jello .
Was genau hat Der rote Ballon uns zu sagen? Jedes Mal wenn ein Lehrer nicht in der Schule aufkreuzte, holte man den Projektor heraus und zeigte uns die angeblich herzerwärmende und inspirierende Geschichte von einem kleinen französischen Jungen und seinem verzauberten Freund, dem Ballon.
Aber Moment mal. Das arme Kind ist völlig mittellos und empfängt keinerlei Liebe. Es trägt jeden Tag dieselben Kleider. Kaum hat der Junge seinen Ballon gefunden, wird er von der Gesellschaft geächtet, vom öffentlichen Nahverkehr
ausgeschlossen, in der Schule gezüchtigt und sogar aus der Kirche geworfen. Seine Eltern müssen tot sein oder ihn verlassen haben, denn das abscheuliche Weib, das in seiner Grausamkeit den Ballon aus dem Fenster wirft, ist eindeutig zu alt, um seine Mutter zu sein. Die Schulkameraden des Jungen sind ein wildes, opportunistisches Pack, das instinktiv alles zu zerstören versucht, was es nicht
Weitere Kostenlose Bücher