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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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und richtig kreativen Profis, die wussten, wie man damit umgeht, Geschichten zu erzählen. Ich stelle gern Sachen her. Ich erzähle gern Geschichten. Ich reise gern nach Asien. Und dieser Fernsehgig erlaubte es mir, das alles gleichzeitig zu tun.
    Ich kam nicht mehr davon los - nicht etwa des Ruhms oder des Geldes wegen (davon gab es herzlich wenig). Ich hatte schon längst so viel Kokain konsumiert, dass es für ein Leben reichte. Kein Sportflitzer der Welt könnte je mein Verlangen stillen. Die große weite Welt - und die Freiheit, die mir das Fernsehen gab - hatte mich verführt, das Reisen ganz nach meinem Belieben. Ich war besoffen von der aufregenden neuen Macht, Bilder und Klänge so zu manipulieren, dass Geschichten daraus wurden, das Publikum die Orte so erleben zu lassen, wie ich sie erlebt hatte. Ich war zunehmend stolz auf die Qualität der Folgen, die meine Partner - die Kameraleute und die Produzenten Chris Collins und Lydia Tenaglia - und ich abdrehten. Ich lernte die Arbeit der Cutter, der Tonmeister und der Postproduzenten schätzen. Die Fernseharbeit machte … Spaß und war von der kreativen Seite her nicht selten höchst befriedigend.
    Ich schrieb das Buch und filmte gleichzeitig weiter. Der Schwanz wedelte mittlerweile mit dem Hund. Ich war süchtig
nach Reisen, danach, mir die Welt anzuschauen, und zwar nach meinen Bedingungen. Vereinfacht ausgedrückt: Ich wollte alles für mich. Einerseits war die Welt erheblich größer geworden, andererseits schrumpfte sie. Wie viele Reisende wandte ich mich beim Blick aus dem Fenster zunehmend nach innen, sah, was draußen geschah, durch eine immer enger werdende Linse. Anfangs hatte ich beim Anblick eines Sonnenuntergangs oder eines Tempels meinen Nachbarn rechts oder links gefragt: »Ist das nicht ein herrlicher Sonnenuntergang?« Dieser Impuls ließ rasch nach. Ich hatte Besitzansprüche auf die Welt. Ich wurde egoistisch. Der Sonnenuntergang gehörte mir.
    Ich war zwei Jahre fast ständig unterwegs, und in dieser Zeit veränderte sich mein Leben grundlegend. Ich gab meine Arbeit als Küchenchef auf, einen Job also, dessen alltägliche Anforderungen allein zwischen mir und dem Chaos gestanden hatten. Meine erste Ehe ging in die Brüche.
    Als ich eines Tages in New York wieder in einem Büro von Food Network saß, war ich ein anderer Mensch und hatte andere Prioritäten als die, mit denen ich meine Küche verlassen hatte. Ich hatte jetzt die groteske Vorstellung, dass die Fernsehsache etwas »Gutes« sei und manchmal sogar »wichtig«.
    Auf der jüngsten Reise nach Spanien hatte man mich Ferran Adrià vorgestellt, der mir erstaunlicherweise erlauben wollte, ihn in seinem Kochlabor El Bulli taller und seinem notorisch ausgebuchten Restaurant zu filmen. Adrià war damals bereits der wichtigste und umstrittenste Meisterkoch auf Erden - und sein Restaurant war legendär. Vor allem aber hatte noch nie jemand gefilmt, was er mir und meinem Team
zeigen wollte. Wir sollten alles erfahren über seine Kreativität, seine Küchenchefs, seine Lieblingsrestaurants, alles, was ihn inspirierte. Und vor allem wollte man uns in der Küche des El Bulli das gesamte Degustationsmenü servieren, und Adrià höchstpersönlich wollte uns jeden Gang erläutern. Das war ein absolutes Novum und ist meines Wissens auch seither nicht wieder vorgekommen.
    Doch während ich auf Reisen war, hatte sich in New York einiges verändert.
    Bei Food Network war man plötzlich nicht mehr an Sendungen »aus dem Ausland« interessiert. Den Verantwortlichen, die uns begeistert engagiert und unsere maßlosen und hektischen Unternehmungen unterstützt hatten, war wohl der Einfluss abhandengekommen. Oder das Interesse. Als wir ihnen erzählten, was Adrià für uns tun wollte, schien ihnen das gleichgültig zu sein. »Spricht er Englisch?«, hieß es jetzt, und: »Das ist zu intellektuell für uns.« Beides wurde als Begründung dafür herangezogen, die Folge nicht zu finanzieren - oder jede andere Folge, die außerhalb der USA spielte.
    Ein sauertöpfisch dreinblickender Syndikus des Senders nahm fortan regelmäßig an den »Kreativkonferenzen« teil und gab auf subtile Art die Tagesordnung und die Richtung vor.
    Für mich hätte das ein Warnsignal der Stufe Rot sein müssen. Das Zugpferd, so hieß es, sei nun eine Sendung namens Unwrapped , in der über die Herstellung von Zuckerwatte und Marsriegeln berichtet wurde. Eine Folge kostete etwa ein Zehntel dessen, was wir brauchten, und hatte

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