Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
meine Ausfertigung des Vertrags gar nicht richtig gelesen. Aber ich erinnere mich dunkel an das Wörtchen »Million« - und daneben das Wort »Dollar« und die Verpflichtung zu absoluter Verschwiegenheit. Und ich nehme mal an, dass Erik und ich immer noch irgendwie daran gebunden sind und nichts ausplaudern dürfen, weder über die Sicherheitsvorschriften noch über den Konsum verbotener
Substanzen am Set, und auch nichts darüber, welches Jurymitglied klüger sein könnte als die anderen und ob sich unter den Tischen der Jury Gläser mit Gin Tonic befinden oder nicht. Über solche Fragen zu spekulieren wäre völlig unverantwortlich.
Ich kann Ihnen jedoch versichern - ohne Einschränkung und Zögern -, dass die Arbeit der Jury, wenn ich dabei war, immer objektiv war. Das heißt, egal, wie sehr es sich die Produzenten der Sendung vielleicht gewünscht hätten, dass der Teilnehmer mit der herzzerreißenden Geschichte (und den unglaublichen Brustmuskeln) bis zur nächsten Folge durchhält, der schlechteste Koch in jener Woche musste gehen. Bei Top Chef gewinnt - solange Tom Colicchio der Juryvorsitzende ist - der Koch mit dem besten Gericht. Der mit dem schlechtesten Essen scheidet aus. Das läuft nach dem Prinzip, was man zuletzt geleistet hat. Die Gastjuroren wissen ohnehin nicht, wie sich die Teilnehmer in den vorigen Sendungen geschlagen haben, daher zählen die bisherigen Leistungen NICHT. Manchmal tun mir die Produzenten leid, ich kann mir vorstellen, wie sie insgeheim aufschreien, wenn sich Tom zögernd dafür entscheidet, dass der insgesamt bessere Teilnehmer, der aussieht wie ein Filmstar und bei den Zuschauern ungeheuer beliebt ist, ein Gericht gerade total versaut hat und deshalb ausscheiden muss.
Ohnmächtig formen ihre Lippen im Regieraum die Worte »Neeeeeinnnn! Nicht Trey!!! NICHT TREYYY!!!«, wenn ein weiterer beliebter Favorit nach Hause geschickt wird.
Die ständigen Jurymitglieder und die Gastjuroren nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Ich habe schon stundenlang mit
den anderen Juroren diskutiert, bis wir uns gemeinsam auf die Gewinner und Verlierer geeinigt hatten. Das ist eine schwierige Entscheidung, die wohl überlegt sein will.
Ich möchte hier betonen, dass die Aufgaben, die die Kandidaten bei Top Chef erfüllen müssen, wirklich, wirklich schwierig sind. Mit Fremden zusammen in ein Quartier gepfercht, getrennt von Familie und Freunden, müssen sie ohne große Vorlaufzeit bizarre Gerichte kochen, ohne dass ihnen Rezepte oder Kochbücher zur Verfügung gestellt werden. Das kann alles sein, von »Kreieren Sie einen Snack aus dem Inhalt dieses Verkaufsautomaten« über »Bereiten Sie mit unbekannten Zutaten ein traditionelles hawaiianisches Essen zu« bis zu »Kochen Sie ein viergängiges Gourmetmenü für Eric Ripert«. Und gekocht wird bei strömendem Regen. In einer Feldküche. Die Vorgaben bei Top Chef und die verrückten, unvorhersehbaren und vom Product-Placement bestimmten Aufgaben (»für den letzten Gang müssen die Tiefkühlnudelgerichte von XY als Zutat verwendet werden«), die unter großem Zeitdruck bewältigt werden müssen, stellen selbst erfahrene Profis auf eine harte Probe.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn ich Teilnehmer wäre, könnte ich mich vielleicht, wenn ich Glück hätte - und nur dank einer Kombination aus jahrelanger Erfahrung, Strategie, List und Tücke -, ein paar Wochen lang durchmogeln. Aber ins Finale würde ich es nie schaffen.
Für einen Profi ist es natürlich faszinierend mit anzusehen, wie andere talentierte Profiköche an ihre Leistungsgrenzen gebracht werden. Man sieht tatsächlich, wo ihre Grenzen liegen, ab welchem Punkt sie nicht bereit sind, weiterzugehen - oder einfach nicht können. Und warum:
mangelnde Fantasie, die falsche Technik oder Strategie, fehlende Reife oder Erfahrung. Und doch erlebt man oft, wie die Teilnehmer über sich hinauswachsen. Man sieht, wie ein Kandidat die letzten Reserven mobilisiert - oder mit seiner persönlichen Bestleistung das Feld von hinten aufrollt. Für die Zuschauer ist das dramatisch und faszinierend. Es gewinnt nicht unbedingt der »beste« Koch - oder das beste Allroundtalent. Der technisch versierteste Koch oder auch der kreativste übernimmt sich oft, verrennt sich, macht einen entscheidenden, unerklärlichen Fehler. Wie im richtigen Leben. Das macht die Sendung so interessant (jedenfalls für mich): Der Koch, der am Ende übrig bleibt, nachdem alle anderen ausgeschieden sind, hat die Eigenschaften, die man
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