Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
abgewandelter Form, nur etwas verfeinert, clevere, aber fantasielose Varianten der Brunchstandards, die man, wie man aus Erfahrung weiß, unbedingt braucht, um das Restaurant am Sonntagvor- und nachmittag vollzukriegen. Neben den obligatorischen Eiern gibt es ein Clubsandwich mit Truthahn und Avocado, das ebenso unvermeidliche »Veggie-Clubsandwich«, Tomate-Mozzarella-Spießchen, French Toast, Roastbeef Hash, Huevos Rancheros (Spiegelei mit Tomaten und Hackfleisch) und Minihamburger (mit schwarzem Trüffel und Briekäse), außerdem gebratene Calamari, Makkaroni mit Käse und Hummer, Obstsalat und verschiedene Früchte sowie den leider unvermeidlichen Caesar Salad.
Das Hähnchen zum Salat kann natürlich extra bestellt werden.
Es sagt einiges über jemanden aus, wenn er Chicken Caesar auf die Karte setzt. Man hat damit eine Grenze überschritten und weiß es. So als hätte man gerade Ron Jeremys
Schwanz gelutscht. Wenn man das erst spät in seiner Laufbahn macht, kann man sich seine weiteren Karriereambitionen abschminken.
Aber Erik Hopfinger war bereits ein Star.
Mit verschränkten Armen stand er ganz vorne mitten zwischen den deutlich kleineren, weniger bedrohlich aussehenden Mitkandidaten. Mit seiner riesenhaften Statur, dem kahlen runden Schädel, den Piercings und Tätowierungen blickte er finster von Plakatwänden, Bussen und den Seiten der Hochglanzmagazine. Er war das Aushängeschild für die vierte Staffel von Top Chef, der besten Kochshow mit den höchsten Einschaltquoten. Unter den Teilnehmern war Erik zum »bösen Buben« erkoren worden. Er war älter, erfahrener (auf jeden Fall an Jahren) und verfügte über ein beeindruckendes - um nicht zu sagen bedrohlich regelwidriges - Aussehen. Für die Sendung hatte man sich viel von ihm erhofft. Das sah man schon an der Art, wie er fotografiert worden war: wie der Leadsänger einer Band - oder ein populärer Wrestler. (Tatsächlich hat Erik etwas von beiden.) Die Produzenten, das kann man wohl annehmen, erwarteten von Hopfinger im Verlauf eines langen und hart umkämpften Wettbewerbs dramatische Szenen.
Unglücklicherweise schaffte er es kaum, die erste Folge zu überstehen.
Ich weiß das, weil ich in der Folge in der Jury saß.
Und nach Folge drei wurde er nach Hause geschickt.
Trotzdem ist er immer noch berühmt. Heute sind viele befreundete Kollegen zu Gast. Zwischen den eleganten Pärchen an der großen, überlangen Bar trinken heftig tätowierte junge Männer in Zweier- oder Dreiergruppen. Kochkollegen.
Die Heimmannschaft. Man kann die Köche von den Zivilisten anhand der Getränke unterscheiden. Die Zivilisten trinken den kostenlosen Sekt Orange. Die Profis haben schon mehrere Gläser Fernet intus. Irgendwo im Speiseraum sind Eriks bester Freund, seine Freundin - und seine Mutter. Er verdient gut und hat nur eine Fünf-Tage-Arbeitswoche (in der Branche nahezu unbekannt). Warme Küche gibt es unglaublicherweise nur bis zehn Uhr abends. Das Hauptgeschäft des Circa ist daher die Club/Loungegeschichte.
»Für Automechaniker hat es nicht gereicht«, sagt er später, in der Bar auf der anderen Straßenseite, mit einem Bier in der Hand, während er zusieht, wie die Staubflocken im Licht des Spätnachmittags um die Zapfhähne tanzen. Anstatt in einer Werkstatt landete er in der Kochklasse der Berufsschule.
Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, ihn zu beschreiben, einen beeindruckend großen, kräftigen Kerl mit breiter Brust, silbernen Ringen in beiden Ohren, zahlreichen Ringen an den Fingern, mit Ziegenbart und Tätowierungen. Er kultiviert den Piratenlook mit glatt rasiertem Schädel. Dabei ist er ein echt netter Kerl, aber das kommt auf den Fotos nicht rüber. Die Stimme passt nicht richtig zum Äußeren; er schaut einem nicht in die Augen, wenn er spricht. Er wirkt … schüchtern. Der gewaltige Körper und das einschüchternde Äußere - halb Pirat, halb arischer Knastbruder - täuschen, man spürt den verschreckten kleinen Jungen, der jederzeit in Tränen ausbrechen könnte. Das soll heißen, dass er ein sehr sympathischer Kerl ist. Kaum dass man ihn getroffen hat, möchte man ihn am liebsten umarmen.
Mit siebzehn meldete er sich auf eine Anzeige im Lokalblatt und begann als Spülhilfe im Chateau Continental in Briarcliff Manor im Staat New York.
»Das war eine Zwei-Mann-Küche«, erzählte er, »garstige Albanertypen.« Sie machten etwa vierzig deprimierende Essen am Abend, eine Mischung aus vermeintlich europäischer Kost wie
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