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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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zu Degustationsmenüs - vielleicht auch zur Haute Cuisine allgemein - einen Sinneswandel vollzogen, denn vor Kurzem hatte er mir gesagt, inzwischen wolle er nur noch »einen guten Hauptgang und ein bisschen Pudding«.
    Womit ich nicht gerechnet hatte - und der arme Ruhlman schon gar nicht -, war die Vehemenz, mit der Marco das Menü im Alinea hasste, hasste und nochmals hasste. Ohne sich die Mühe zu machen, sich an den Namen des Kochs oder des Restaurants zu erinnern, legte er los und kritisierte ein namenloses Restaurant, das jedoch unzweifelhaft das Alinea war. Man hätte meinen können, Achatz hätte Marcos Lieblingshund erschossen und ihm den noch dampfenden Kadaver serviert. Die Art, wie Marco über ihn herzog und seine experimentelle Präsentation und neuen Kochtechniken mit einem geringschätzigen Handwedeln abtat, zeugte von tiefer Verachtung. Er erwärmte sich immer mehr für das Thema und redete weiter und weiter - und wir alle ahnten nicht, dass Achatz, der sich allgemeiner Beliebtheit und Wertschätzung erfreut, nur wenige Reihen von uns entfernt im Publikum saß.
    Am nächsten Tag hagelte es gegenseitige Vorwürfe, und überall waren gekränkte Mienen zu sehen. Ruhlman hat zusammen mit Achatz ein Buch geschrieben und bewundert den Mann und seine Kochkunst aufrichtig. Nun wurde ihm von Achatz’ Anhängern und Jüngern Verrat vorgeworfen, weil er »zugelassen« hatte, dass sich White in aller Öffentlichkeit so respektlos über Achatz geäußert hatte. Eine köstliche
Vorstellung, wie Ruhlman oder jemand anderes versucht, Marco ungeachtet seines furchterregenden Rufs, seines Rockstaregos und seiner einschüchternden Statur zum Schweigen zu bringen. Dass Achatz erst vor Kurzem mit einer schweren Krebserkrankung zu kämpfen hatte, bei der er fürchten musste, dass er seinen Geschmackssinn durch den Zungenkrebs für immer verlieren könnte, machte die Geschichte umso unangenehmer. Ruhlman ging die Sache sehr an die Nieren. (Eigentlich hätte er aber damit rechnen müssen. Irgendwie schaffe ich es immer wieder, ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Unser letztes gemeinsames Abenteuer sorgte dafür, dass seine hoffnungsvolle Karriere bei Food Network ein jähes Ende fand.)
    Am nächsten Tag reagierte Achatz. Er stand auf und trug eine leidenschaftliche und wohlbegründete Verteidigungsrede vor, in der er sich zu Recht in eine Reihe mit den Pionieren der Molekularküche stellte. Prinzipiell kann ich seinen Argumenten aus vollem Herzen zustimmen. Ohne Experimente, ohne die Bereitschaft, Fragen zu stellen und Neues auszuprobieren, bleiben wir stehen, wiederholen uns und gehen zugrunde. Vor all den anwesenden Köchen musste Achatz wirklich nicht erklären, warum er für seinen Job bestens qualifiziert war.
    Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Grant Achatz wahrscheinlich ein Genie ist? Dass er einer der besten Küchenchefs und Köche in Amerika ist? Dass in seiner Küche, ähnlich wie früher in Marcos Küche, nur die Besten der Besten arbeiten, die motiviertesten und engagiertesten Köche, die es gibt, die wahren Gläubigen, der Special Air Service, die Green Berets der Küchenbrigaden?

    Dass es Grant Achatz war (als er damals bei Thomas Keller in der French Laundry arbeitete), der mir die großartigste Mahlzeit meines Lebens bescherte?
    Das Problem ist nur: Ich hasste das Alinea auch. Ich verachtete es sogar.
    Nehmen Sie das nicht als Warnung. Falls Sie sich je dazu veranlasst fühlten, ein Restaurant zu besuchen, weil es mir nicht gefallen hat, dann ist das in diesem Fall genau richtig. Das Alinea ist ein seriöses Restaurant mit seriösem Personal, das seriöse und wichtige Arbeit leistet.
    Aber mein Essen dort war eine der längsten, unerfreulichsten Mahlzeiten meines Lebens. Schon nach zwanzig Minuten sah ich auf die kleine Menükarte und zählte die (vielen) Gerichte, die kommen würden, überschlug die Stunden, Minuten und Sekunden, die ich bleiben musste, bis ich wieder in die Freiheit entlassen wurde. Meiner Meinung nach nahm sich das Menü viel zu ernst, war sinnlos, doof, ärgerlich und generell freudlos. Für mich war es von Anfang bis Ende eine Qual.
    Zu der Zeit war ich auf einer besonders nervtötenden Lesereise. An jenem Abend befand ich mich jedoch in Gesellschaft eines Journalisten, der sich tatsächlich Gedanken machte, interessant war und mit dem man sich gern unterhielt. Die Möglichkeit, sich etwas länger zu unterhalten, ergab sich wie von selbst. Und ein Abendessen - in einem der

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