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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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Gänge - meistens hatte sogar jeder von uns einen anderen. Gott weiß, wie viele Weine. Perfekte, schwindlig machende fünf Stunden im Napa Valley, immer wieder unterbrochen von gedankenvollen Pinkelpausen. Mehr konnte man von einer Mahlzeit nicht erwarten. Jedes Gericht wirkte frisch und neu - nicht nur die Zutaten, sondern auch das Konzept dahinter. Ein magischer Abend voller magischer kleiner Momente. Als Erstes fällt mir dazu wieder ein:
    Der dumme Ausdruck auf unseren Gesichtern, als die berühmten Waffeltüten mit Lachstatar serviert wurden - die Präsentation »funktionierte« genauso, wie sie sollte. Selbst bei Küchenchefs und Ruhlman, dem Koautor von Kellers Kochbuch.
    Der Überraschungsgang »Kaffeeflan mit Marlboro-Aromen zu scharf angebratener Foie gras«, den Keller eigens für mich kreiert hatte (damals rauchte ich noch drei Schachteln am Tag) - in dem Wissen, dass ich zu dem Zeitpunkt schon nach einer Zigarette lechzte.
    Ich erinnere mich an die Oysters & Pearls - wie aufgeregt und begeistert ich war, endlich etwas zu probieren, das ich
bisher nur auf den prächtigen Fotos in Kellers Kochbuch bewundert hatte. Die Austern enttäuschten mich nicht - sie übertrafen sogar meine Erwartungen. Wie die Hände des Kellners zitterten, als er einen gigantischen schwarzen Trüffel über unsere Pasta hobelte. Wie er den Trüffel fallen ließ - und wie wir uns mit einem Blick verständigten, nichts davon zu erwähnen.
    Wie wir vier während einer Pause vor dem Dessert, betrunken und tuschelnd wie Kinder an Halloween, in den rückwärtigen Garten der Laundry schlichen, zum Küchenfenster pirschten und neidisch Keller und seine Leute bei der Arbeit beobachteten.
    Nach dem Essen Drinks im Garten mit dem Meister. Inzwischen war es dunkel - und sehr spät, das Restaurant schloss bereits. Keller schien auf einer niedrigeren Frequenz zu schwingen als alle anderen Küchenchefs, die ich kannte. Ein glücklicher, aber rastloser Mensch, der da neben uns saß, umgeben von üppigem Grün im Garten des Restaurants, das er aufgebaut hatte. Ich fragte den berühmten Workaholic, ob er je überlegt hätte, sich eine Auszeit zu nehmen, einfach einmal einen Monat nichts zu tun, und er reagierte, als ob ich meine Frage in Urdu gestellt hätte, legte den Kopf schräg und versuchte zu erfassen, was ich gemeint haben könnte. Ich weiß noch, wie wir dann in unserer lächerlichen gemieteten Angeberlimousine davonfuhren, in dem Gefühl, dass ich gerade die beste Mahlzeit meines Lebens genossen hatte.
    Aber ich erinnere mich noch an ein anderes Detail, das ich bisher verdrängt hatte, weil es nicht so recht ins schwelgerische Bild passen wollte, das ich mir gemalt hatte - idyllische
fünf Stunden im Napa Valley, eine zeitlos wunderbare Mahlzeit, kreiert von einem Küchenchef, den ich verehrte.
    Ich muss mich zwingen, an das zu denken, was danach kam - als wir in unserer blöden weißen Stretchlimousine davonfuhren. Im Auto herrschte keine Feststimmung. Ich erinnere mich eher an Stöhnen und schweres Atmen. An den Kampf, durchzuhalten.
    Wir hatten zu viel gegessen und getrunken - ganz bewusst und begeistert, das ist klar. Aber damit muss man rechnen, wenn man das große Degustationsmenü in der Laundry oder im Per Se bestellt. Man bereitet sich darauf vor, zumindest sollte man das, wenn man vernünftig ist: Vielleicht fastet man einen Tag. Vielleicht steht man am Tag des großen Essens früh auf und weitet den Magen mit Wasser. Und auch der Tag danach will geplant sein. Man sollte - man muss - sich erholen.
    Ist an einer Mahlzeit von solchen Ambitionen und Ausmaßen, an einem derart gargantuesken Schmaus moralisch etwas auszusetzen? Neben den üblichen Argumenten wie »In Afrika verhungern die Kinder« oder »Allein im letzten Monat wurden 25 000 Leute in Amerika arbeitslos« gibt es noch die Tatsache, dass etwa achtzig Prozent des Fisches oder des Vogels nicht verwendet werden, um den köstlichen kleinen Nugget zu erhalten, der nachher auf dem Teller landet. Außerdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein solches Menü einfach mit mehr Speisen und Alkohol aufwartet, als der menschliche Körper verkraften kann. Nach dieser herrlichen Zeit, der wunderbarsten aller Mahlzeiten, muss man sich auf sein Bett fallen lassen, man hat Sodbrennen und spürt im Schädel das erste Hämmern
eines wirklich üblen Katers, man furzt und rülpst wie ein mittelalterlicher Mönch.
    Ist das ein angemessener Abschluss, das unvermeidliche Resultat

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