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Ein bisschen schwanger

Ein bisschen schwanger

Titel: Ein bisschen schwanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Dunker
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… « Er hatte gelacht, seinen Eimer genommen und war gegangen, aber bevor er aus meinem Blickfeld verschwunden war, hatte er noch einmal über die Schulter zurückgeblickt und mir zugezwinkert. »Tschüs!«
    Ich sah auf meine leere Leinwand.
    »Tschüs!«, sagte ich zu ihr und fing im gleichen Moment an zu malen. Grüne Farbe. Ich würde einen Urwald wachsen lassen, mit Golfschlangen und schrägen Vögeln, mit Rabea und ihrer Tochter Anna, mit den Lieblingsschweinen Lotta und Plumpsi, mit Baumwipfeln, so hoch, dass ich in meiner Vorstellung in sie hinaufsteigen, ein Baumhaus bauen, in einer Hängematte schlafen und die bloßen Füße über den Rand baumeln lassen konnte.
    Dort wäre ich unerreichbar. Und käme jemand zu Besuch, den ich mochte, ließe ich ihm eine Strickleiter hinunter. Käme Patrick, zöge ich sie hinauf, lachte, spuckte auf ihn und riefe die wilden Tiere herbei, damit sie ihn fressen.
    Ich arbeitete immer heftiger, stellte mir mehr und mehr das fertige Bild vor. Aber das Türklingeln konnte ich irgendwann
    einfach nicht mehr überhören. Meine Phantasie reichte nicht aus, es auszublenden, sie wollte nicht in dem paradiesischen Wald bleiben, sondern malte sich düster aus, wie Patrick gleich in mein Zimmer marschieren, einen abschätzigen Blick auf mein Krickelkrakel werfen und in seinem Sessel Platz nehmen würde.
    »Linda, das ist bestimmt für dich! Kannst du nicht mal aufmachen!« Die Stimme meines Vaters drang aus dem Schlafzimmer herüber. Als meine Eltern erfahren hatten, dass ich den Abend über malen wollte, hatten sie sich »zurückgezogen«. Im Klartext hieß das, sie hatten Sex und wollten nicht gestört werden.
    Ich malte energischer und tat, als hörte ich weder die Türklingel noch die Stimme meines Vaters.
    »Hörst du schlecht?«
    Strickleiterprinzip. Nicht aufmachen. Ihn nicht sehen. Sich nicht auf Gespräche einlassen.
    Täte ich es doch, käme alles wieder hoch. Es wäre wie bei Waldbränden in heißen, regenlosen Sommern: Quadratkilometer von Wald waren bereits vernichtet, als die Löscharbeiten endlich erste Erfolge zeigten und das Land aufatmete – da machte ein Funke, eine weggeworfene Zigarette, ein klitzekleiner Brennglaseffekt alle Hoffnungen zunichte, und das Feuer, das in den Wurzeln der alten Bäume weitergeglüht hatte, wurde erneut entfacht.
    Er klingelte weiter. Er musste es sein. Niemand drückte so penetrant auf die Klinge wie er. Drüben im Schlafzimmer beschwerte sich meine Mutter. »Linda!«, rief mein Vater wütend, das Bett knarrte, die Schranktür quietschte, er stand also auf und suchte nach seinem Bademantel. »Verdammter Mist! Das ist doch hundertprozentig für sie!«, hörte ich ihn rufen.
    Verärgerte Eltern waren das Letzte, was ich brauchen konnte. Ich warf den Pinsel auf den Schreibtisch. Er zog eine Schmierspur über mein Bild: ruiniert. Auf dem Weg durch den Flur hörte ich hinter mir das Schimpfen meines Vaters. Die Wohnungstür hatte einen Spion. Ich legte mein Auge daran und erwartete zu erstarren wie das Kaninchen vor der Schlange.
    Aber: Vor der Tür stand mein Opa.
    Ich war erleichtert, aber nur einen Augenblick, denn der Kopf meines Opas war rot, er schien sehr aufgeregt zu sein. Ich öffnete.
    »Warum macht ihr denn nicht auf? Oma ist gefallen, ich hab sie gerade ins Krankenhaus gebracht!«
    »Komm erst mal rein!«, sagte mein Vater, der inzwischen hinter mich getreten war. Sein Gesicht war mindestens genauso rot wie das seines Vaters.
    Oma hatte einen Schock und einen gebrochenen Arm.
    Opa brauchte Trost und ein Bier, mein Vater ebenso.
    Und meine Mutter brauchte fast eine Viertelstunde, um ihre Haare zu richten. Danach kam sie zu uns in die Küche, entschuldigte sich und legte mir die Hand auf die Schulter: »Wir dachten erst, es wären deine Freunde, Linda. Die stehen nämlich draußen und hören Musik. Patrick ist fortgefahren und nicht mehr dabei. Du hättest ruhig zur Tür gehen können.«
    Ich nickte und ging zurück zu meinem Bild. Es wäre gar nicht so schlecht geworden, aber egal. Würde ich eben ein neues malen.

Fremde Freundin
    15. September
    Am Morgen des ersten Schultages klingelte Melanie nicht. Ich musste mir ein Herz fassen, mich im Bus neben sie zu setzen und, als ich merkte, wie sie sich von mir wegdrehte, nicht wieder aufzustehen und einen anderen Platz zu suchen.
    Der Bus rumpelte den vertrauten und nach sechs Wochen doch fremden Schulweg entlang, durchquerte holpernd die Niemandszeit zwischen Nicht-mehr-Ferien und

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