Ein bisschen schwanger
Augen füllten sich mit Tränen. Sein Griff lockerte sich, er ließ meinen Arm los, strich mir durchs Haar.
Ich bekam noch immer kein Wort heraus, rührte mich nicht. Melanie sah mich an. Lauernd. Würde ich zu ihm zurückkehren?
»Viep! «
Ich fing mich wieder, wand mich aus seinem Arm, rief: »Da kannst du warten und viepen, bis du schwarz wirst!«, und rannte, so schnell ich konnte, ins Schulgebäude.
Drinnen steuerte ich das Klo an, schloss mich in einer Kabine ein. Mein Herz klopfte heftig. Mir war flau. Ich musste mich gegen die Tür lehnen. Ich musste wissen, ob ich endlich meine Periode bekommen hatte.
Nein.
Ich rechnete, verhaspelte mich, brachte die Tage durcheinander, gab es auf. Ich war einfach zu nervös. Patrick machte mich nervös! Patrick brachte mich dazu, mir in meiner Angst vor ihm Horrorszenarien auszudenken! In Wirklichkeit gab es keinen Grund zur Sorge! Der Zyklus der Frau ist durch Stress beeinflussbar, das ist doch bekannt.
Es gelang mir, mit solchen Sprüchen die Angst einigermaßen in Schach zu halten. Dennoch begann ich von diesem Moment an, regelmäßig Kontrollgänge zu machen. Zuerst eher sporadisch, dann immer häufiger, bis es so weit war, dass ich schon während eines Toilettenbesuchs überlegte, wann ich das nächste Mal wieder gehen würde. Es war wie vor einem Jahr, als ich mich zu dick gefühlt und diese heftige Diät gemacht hatte. Schon der erste Gedanke beim Aufwachen am Morgen galt den Kalorien, die ich an diesem Tag nicht zu mir nehmen wollte.
Jetzt waren es die Kontrollgänge, die fast mein ganzes Denken beherrschten. Während der Unterrichtsstunden kritzelte ich Uhrzeiten auf meine Heftränder, malte mir aus, wann ich endlich einen Erleichterungsseufzer würde ausstoßen können. In der sechsten Stunde vielleicht, in Mathe, so gegen 12 Uhr 30? Dann würde ich mir zur Belohnung ein Negerkussbrötchen kaufen, die hatte ich früher nie gemocht, aber jetzt fand ich sie ganz geil.
Obwohl Melanie weiterhin ziemlich abweisend zu mir war, fiel ihr mein Verhalten auf.
»Was rennst du denn immer zum Klo?«
»Blasenentzündung«, schwindelte ich.
»Und warum bleibst du dann nicht zu Hause?«
»Nö, Schule ist doch interessant.«
»Ah ja.« Melanie machte ein Gesicht, das ganz deutlich zeigte, dass sie mir nicht glaubte.
Ich gab mir auch keine große Mühe, sie von meiner Notlüge zu überzeugen. Mir fehlte in diesen Tagen die Kraft dazu. Manchmal wollte ich einfach nur heulen.
Gnädigerweise kam es auch vor, dass ich für ein paar Stunden nicht an mein Problem dachte. Die Arbeit im Zoo lenkte mich ab, auch das Malen tat mir gut, ich war wahnsinnig produktiv und erntete von allen, die meine Bilder sahen, großes Lob. Erlöst fühlte ich mich auch, wenn ich mit Martin zusammen war. Der Umgang mit ihm war so wunderbar leicht und unproblematisch, er nahm nicht alles so furchtbar ernst wie Patrick, er war nicht so von seiner Liebe zu mir besessen, er freute sich, wenn ich Zeit für ihn hatte, verfiel aber nicht in Depressionen, wenn ich ihm einen Korb gab.
In gewisser Weise verhielt ich mich superpubertär: Mal war ich himmelhoch jauchzend froh, verliebt und von allen Sorgen frei, dann wieder am Boden zerstört und völlig verzweifelt. In solchen Phasen rannte ich beinahe zwanghaft alle zehn Minuten ins Bad, stand sogar nachts auf, um nachzusehen, ob sich nicht etwas tat. Es tat sich nichts.
Nur die Unruhe wuchs so sehr, dass ich immer öfter fürchtete, ich könnte plötzlich und vor allen Leuten zusammenbrechen.
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27. September
Meine Stimmungsschwankungen erreichten ihren Höhepunkt am Samstag. Im Zoo waren in der Nacht zuvor Tigerjunge geboren worden, und da das Muttertier und die Kleinen wohlauf waren, waren auch wir Menschen guter Stimmung.
Als ich nach der Schule ins Bauernhaus kam, wartete Martin schon auf mich und führte mich ins Raubtierhaus, wo wir mit anderen Tierpflegern zusammen die Kleinen noch vor den Besuchern sehen durften. Martin und ich drückten unsere Nasen an die Panzerglasscheibe, hinter der die Mutter mit den Jungen lag, und sahen ihr beim Säugen zu. Im Dienstraum des Raubtierhauses standen für alle Mitarbeiter zur Feier des Tages Getränke und Kleinigkeiten zum Naschen bereit. So kam es, dass wir schon um Viertel nach drei mit unserem ersten Glas Sekt anstießen. Mir fiel ein, dass meine Eltern an diesem Abend mit Freunden ins Theater wollten und ich also sturmfreie Bude haben würde. Da fasste ich mir ein Herz und lud Martin zu mir
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