Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen
aufzugeben?
Ich war fast erleichtert, als wir später das Flugzeug bestiegen, nach einem Abschiedsessen, während dem Mr. Stevens einen Vortrag über solide Investitionen und Schuldenmanagement hielt und Mrs. Stevens einen Lammeintopf servierte. Und zwar mit einer Inbrunst, als wolle sie jegliche Nährstoffe in Kirk hineinstopfen, die er, wie sie wohl befürchtete, sonst nicht bekam. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir die Schuld dafür gab. Sie erschauerte geradezu, als sie mich zum Abschied ein wenig steif umarmte. „Sie sind ja nur Haut und Knochen!“ rief sie und schüttelte missbilligend den Kopf.
Sie hatte Recht. Ich fühlte mich wie ein Skelett. Wie ein Schatten meiner selbst.
Wegen Kayla tat es mir ein wenig Leid. Sie umarmte ich fest zum Abschied. Ich hoffte, dass bei ihr alles gut gehen würde. Hoffte, dass sie alles bekommen würde, was sie sich wünschte. So, wie ich es für mich auch hoffte.
Als ich dann festgeschnallt im Flugzeug saß und mich gegen die Angstattacke wappnete, die unvermeidbar losgehen würde, sobald das Flugzeug zu rollen begann, stellte ich erstaunt fest, dass ich nichts fühlte.
Überhaupt nichts.
Natürlich sprach ich meine Gebete trotzdem, für alle Fälle. Als ich fertig war, begann ich mit den Bitten.
Bitte, lieber Gott, lass uns sicher landen. In LaGuardia. Auf der Landebahn
.
Als ich aber zu Kirk hinüberblickte, der in eine Computerzeitschrift vertieft war, war es mir mit einem Mal egal, wo ich landete.
Nein, war nur ein Witz, lieber Gott, es ist mir nicht egal
. Ja, ich wollte leben und ich wollte …
Ich schloss die Augen und äußerte eine weitere Bitte.
Ich will einfach glücklich sein
.
Für meinen Geschmack war das ein wenig vage formuliert. Was war Glück überhaupt? Ich sah, wie Kirk die Zeitschrift weglegte und seinen Laptop hervorholte, wahrscheinlich mit der Absicht, sich sofort wieder mit Arbeit zuzuschaufeln.
Also,
das
ist Glück, dachte ich, als der Bildschirm aufleuchtete und Kirk sein Passwort eintippte. Er war so fixiert. Ich meine, in wenigen Minuten würde er aufgefordert werden, seinen Computer für den Start auszuschalten, und doch nutzte er jede freie Sekunde, um mit seiner Arbeit weiterzukommen.
Genau das liebte ich an ihm. Und so etwas wünschte ich mir für mich selbst auch.
Ich streichelte ihm mit der Hand über die stoppelige Wange, als ob er mir so ein wenig von seinem Ehrgeiz abgeben könnte. Er blickte mich lächelnd an. „Alles okay?“
„Mir geht’s gut.“ Doch mit einem Mal wurde mein Hals von einem seltsamen Gefühl abgeschnürt, das ich nicht verstand.
Oder nicht verstehen wollte.
15. KAPITEL
I ch habe eine Art … New-York-Manie
Als wir in LaGuardia das Flugzeug verließen, hätte ich am liebsten den Boden unter meinen Füßen geküsst. Und ich tat es nur nicht, weil sich dort bestimmt alle möglichen Krankheitserreger tummelten. Trotzdem zog ich diesen dreckigen Fußboden jederzeit der sauberen Sterilität des Logan Flughafens vor. Nachdem wir meinen Koffer vom Gepäckband geholt hatten, verspürte ich beim Anblick von zwei Geschäftsmännern, die sich wegen eines Taxis stritten, sogar eine Art freudige Erregung.
„Hör zu, du Vollidiot, ich warte hier schon länger“, sagte der größere und stärkere der beiden.
Das ist es
, dachte ich.
Sag ihm, was du denkst
. Das hier ist ein echter New Yorker – nicht lange drum herumreden mit dieser passiv-aggressiven Höflichkeit, auf die die Neuengländer so stolz sind.
Das waren meine Leute. Ich blickte mich glücklich um, als wir uns in die Warteschlange für die Taxis stellten.
Gut, Kirk war in Neuengland geboren und aufgewachsen. Aber jetzt war er ja auch New Yorker. Wie ich und Grace und sogar Justin. Erleichtert hängte ich mich bei ihm ein. Himmel, Justin war vielleicht noch mehr New Yorker als wir alle zusammen, so tief, wie seine Liebe für diese schöne Stadt war.
Justin. Ich konnte es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen und ihn zu sehen. Und auch Grace, egal, wie sehr sie sich in letzter Zeit verändert hatte. Ich vermisste meine Freunde ganz schrecklich. Deswegen unterbrach ich Kirk auch, als er dem Taxifahrer seine Adresse nannte.
„Wir halten zweimal. Das zweite Mal Ecke Neunte Straße und Avenue A.“
„Du fährst nach Hause?“ fragte er überrascht.
„Nun, ja. Ich habe … noch einiges zu erledigen, und außerdem habe ich ja den schweren Koffer …“
Vielleicht, weil er sich vorstellte, wie der Koffer sein sauberes Apartment verschandeln
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