Ein Braeutigam und zwei Braeute
einer schweren Last. Man drängte ihn, zum Arzt zu gehen, sich in frischer Landluft zu erholen, aber Chaim der Schlosser lachte nur.
»Sonst noch was? Soll ich vielleicht Marzipan essen?«
Bald wurde eine Heirat für Sainwel arrangiert; die künftige Braut war die Tochter eines Rabbis. Gewöhnlich war es Sache der Familie der Braut, die Mitgift zu stellen, aber wenn ein Rabbi der Verbindung mit einem Schlosser zustimmt, will er sich das bezahlen lassen. Chaim hatte kein Geld, versprach aber eine Mitgift, und als die Deutschen in der Nähe eine Eisenbahn zu bauen begannen und er hörte, Schlosser, Mechaniker und Metallarbeiter würden gebraucht, zog Chaim der Schlosser los, um für die Deutschen zu arbeiten.
Seine Frau kam weinend zu uns, Chaim bringe sich um. Er schuftete im Freien bei Eiseskälte, bei Schneesturm und heftigem Dauerregen. Die Arbeiter fielen um wie die Fliegen. Chaim arbeitete für drei. Wenn er es schaffte, für einen Tag nach Hause zu kommen, erschrak seine Familie über sein Aussehen. Er war nicht mehr braun oder schwarz, sondern gelb. Weiße Haare durchzogen seinen Bart. Seine Stimme war heiser, und er hustete wie ein Schwindsüchtiger.
Mein Vater warnte Chaim: Es sei verboten, sich um einer Mitgift oder um der Verbindung mit einer angesehenen alten Familie willen aufzuopfern, das eigene Leben und Wohlergehen hätten Vorrang vor allem anderen. Vater nahm einen Band des Schulchan Aruch aus dem Regal und zeigte Chaim, daß, wenn die Niederkunft einer Schwangeren unmittelbar bevorsteht, jeder ihretwegen den Sabbat verletzen darf, selbst wenn nur eine einzige Person vonnöten sei. Einen so hohen Wert messe die Tora dem menschlichen Leben bei. Doch Chaim der Schlosser antwortete: »Rabbi, der Teufel holt mich schon nicht.«
Sainwel verlobte sich, und die Feier kostete viele Deutsche Mark. Als Sainwel schließlich heiratete, gab Chaim wieder ein Vermögen aus. Dann kam die gute Nachricht: Man hatte Sainwel die Stelle des Rabbis in einem kleinen Schtetl angeboten.
Das sollte das letzte Mal sein, daß Chaim uns zu Hause aufsuchte. Er kam herein, blieb in der Tür stehen und fing an zu singen wie jemand in Purimverkleidung. »Masel tow! Sainwel ist Rabbi!« rief er laut und brach dann in Tränen aus. Er ergriff Vaters Hand und küßte sie.
»Sainwel ist Rabbi, schön und gut, aber du bringst dich um«, sagte Mutter ahnungsvoll.
Chaim stieß ein ungesundes Lachen aus. »Was soll mir das ausmachen? Mein Sainwel ist Rabbi.« Er setzte zu einem Tänzchen an, aber seine Füße waren geschwollen, er brachte nur einen kleinen Hüpfer zustande und mußte sich dann setzen.
Danach wurde Chaim der Schlosser bettlägerig und erwartete gefaßt seinen Tod. Der Mann hatte sich überarbeitet, sich maßlos überanstrengt. Seinen Besuchern am Krankenbett erklärte er: »Ich habe es mit knapper Not geschafft, ihn großzuziehen … Nun bin ich bereit …«
Sein Sohn kam zu Besuch angereist, und der Hof wurde schwarz von Menschen. Sainwel hatte lange Schläfenlocken, er trug den langen schwarzen Mantel eines Rabbis, ein Seidengewand, Schuhe und Strümpfe. Als Sainwel sich zu seinem Vater setzte, sah Chaim der Schlosser ihn mit dem Lächeln eines Todkranken an und fragte: »Sainwel, wirst du das Kaddisch für mich sagen?«
»Vater, du wirst wieder gesund.«
»Warum soll ich wieder gesund werden? Ich habe alles erreicht, was ich wollte.« Und dann riß Chaim der Schlosser einen Schlosserwitz: »Was könnte ich denn noch tun? Noch ein paar Klosetts reparieren?«
Chaim der Schlosser starb und bekam ein großes Begräbnis. Der Sohn hielt am Grab einen Lobrede auf seinen Vater. Dem Sarg folgten Rabbis, Gabbais, angesehene Männer. Mein Vater aber zürnte Chaim. Er blieb dabei, man dürfe sich nicht aufopfern, nicht einmal für die Tora.
»Ein gemeiner Mann bleibt, was er ist«, sagte Vater bitter. Tagelang wanderte er aufgebracht umher. Eines Morgens aber bemerkte er: »Ich glaube, ich habe Chaim den Schlosser gesehen. Er strahlte wie die Sonne.«
»Hat er etwas zu dir gesagt?«
»Er hat mir erzählt, wo er im Garten Eden wohnt.«
»Wo?«
Vater flüsterte Mutter das Geheimnis ins Ohr. Mutter wurde blaß. Es war kaum zu glauben, daß Chaim der Schlosser so erhöht werden konnte. Andererseits hatte er sein Leben für die Tora hingegeben. Hatte nicht Rabbi Akiba das gleiche getan?
Die Frau des Schächters
Mann und Frau kamen – jeweils
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