Ein Braeutigam und zwei Braeute
ihm, Chaim.
Und das stimmte. Die Mädchen hatten braune Gesichter, dicke Zöpfe und einen hohen Busen. Sie sangen herzzerreißende Lieder über die Tita nic und alle möglichen Liebesaffären. An Sabbattagen knackten sie vorm Haustor Kürbiskerne und gingen heimlich ins Kino. Wie also hätte man sie mit dem kleinen Sainwel vergleichen können?
Gestern noch war Sainwel ein kleiner Elementarschüler gewesen – und nun stand er schon an der Schwelle zum Jünglingsalter. Er studierte die Tora mit meinem Vater und besuchte Talmudvorlesungen, die der Vorsteher einer Jeschiwa hielt. Als Preis dafür, daß er fünfzig Seiten Talmud beherrschte, bekam er eine vernickelte Armbanduhr. Dies war die Zeit, da Jeschiwaschüler vom schmalen geraden Weg abkamen, indem sie Zeitungen und verbotene weltliche Bücher lasen. Bei uns im Haus hatte man um Sainwel Angst. Jeder wußte, sollte Sainwel straucheln, würde das Herz dieses starken Mannes, das Herz Chaims des Schlossers, platzen wie ein zu stark aufgeblasener Ballon. Jeden Schlag würde Chaim verkraften können, nur nicht ein Unheil, das Sainwel betraf.
Doch Gott sei Dank geriet Sainwel nicht auf Abwege. Er lernte mit Inbrunst, er wiegte sich beim Beten und reiste zur rechten Zeit auch zu einem chassidischen Rebbe. Eines Tages erschien Chaim der Schlosser bei uns und verkündete: »Mein Sainwel ist in Gur … am Hof des Rebbe.«
Und demütig beugte er seinen Kopf, als frage er sich im stillen: Warum bin ich solcher Freude würdig? Habe ich das verdient? Es ist unglaublich … unfaßbar!
Als der Erste Weltkrieg ausbrach und Sainwel sich bei der Musterungskommission melden sollte, war das für Chaim den Schlosser eine Katastrophe. Wenn Sainwel eingezogen und an die Front geschickt würde, wären all seine Pläne zunichte. Chaim irrte umher, aufgewühlt, sein Gesicht nicht mehr braun, sondern schwarz wie das eines Schornsteinfegers. Etliche Leute gaben ihm den Rat, Sainwel solle sich eine Verletzung beibringen, gerade so schlimm, daß er zum Militärdienst untauglich wäre. Aber der Gedanke, Sainwel könnte irgendwie entstellt sein, war für Chaim unerträglich. In seiner Vorstellung war Sainwel wie ein Tempelopfer, das vollkommen makellos zu sein hatte.
Nach einer Weile beschloß Chaim der Schlosser statt dessen, Sainwel zu verstecken. Er fand eine Dachkammer, wo Sainwel tagelang saß und lernte. Er setzte keinen Fuß auf die Straße, um nicht zu riskieren, nach seinem Ausweis gefragt zu werden. Chaim der Schlosser selber paßte auf, ob nicht ein Wachtmeister in den Hof kam. Chaim war vorsichtig, seine Frau war vorsichtig, seine Töchter waren vorsichtig. Der gesamte Hof war auf der Hut. Währenddessen saß Sainwel inmitten von Büchern und studierte. Er trank Tee, wiegte sich, summte Psalmen und aß, was seine Mutter ihm brachte.
Dann litt Warschau unter der Inflation, und Chaim der Schlosser hatte kaum Arbeit. Die Armen des Viertels konnten es sich nicht mehr leisten, ihre Klosetts reparieren zu lassen. Doch Chaims kärgliche Einkünfte lieferten Suppe, Hafergrütze und frische Brötchen für sein Sainwele. Denn einem jungen Mann, der unter kerkerähnlichen Bedingungen die Tora studierte, durfte es auf gar keinen Fall an irgend etwas mangeln.
Als die Deutschen in Warschau einmarschierten, mußte Sainwel sich nicht länger vor der nichtjüdischen Obrigkeit verstecken. Er konnte kommen und gehen, wie er wollte, und Chaim der Schlosser gab ein Festessen. Mittlerweile hatte Sainwel ein blondes Bärtchen; er war in die Höhe geschossen und hatte nun einen langen Hals, eingefallene Wangen und einen spitzen Adamsapfel, der auf und ab hüpfte. Er redete bereits im Tonfall eines Rabbis. Viele fromme Männer und religiöse Würdenträger waren bei dem Festmahl versammelt – das Chaim den Schlosser ruinierte. Er hatte keine Einkünfte, mußte Hausrat verkaufen oder versetzen und seinen Töchtern wie sich selbst den letzten Bissen vom Munde absparen. Bei diesem Essen trug Sainwel einen Pilpul vor, eine haarspalterisch scharfsinnige Textauslegung, und erörterte mit den anwesenden Gelehrten einige dunkle Talmudstellen. Chaim der Schlosser lachte und weinte.
Chaim begann schlecht auszusehen. Erstens hatte er nicht genug zu essen. Zweitens quälte ihn die Sorge um seine Töchter, die auf die schiefe Bahn geraten waren. Und die Angst, daß Sainwel etwas zustoßen könnte, brachte ihn schier um. Chaim hustete, und sein Rücken krümmte sich wie unter
Weitere Kostenlose Bücher