Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
Vom Netzwerk:
einzeln – zu uns in die Wohnung und zogen sogleich über den anderen her. Sie war jung, trug aber eine altmodische Frauenhaube und hatte ein altes Gesicht, verheulte Augen und eine gerötete Nase. Sie schneuzte sich in ihr Taschentuch und beklagte sich bei meiner Mutter.
      »Er ist ein Sadist, ein Mörder. Er ist kein menschliches Wesen, sondern ein mordendes Ungeheuer.«
      »Was tut er Ihnen an?«
      »Er saugt mir das Blut aus.«
      »Wie das?«
      »Ich kann es nicht beschreiben. Er saugt sich an mir satt wie ein Blutegel. Er ist nur gut zu mir, wenn er mich will.«
      Die junge Frau flüsterte Mutter etwas ins Ohr. Mutter nickte – ja, so war eben das Los der Frauen.
      »Rebbezin, er saugt mir das Leben aus, und das ohne allen Grund. Ich möchte weglaufen. Aber wohin? Wenn Eltern ihre Tochter verheiraten, wollen sie sie nicht wiedersehen. Wir hatten einen Goi im Haus, der immer sagte: ›Wenn man Abfall wegwirft, will man ihn nicht wiederhaben.‹«
      »Ein Mensch ist kein Abfall«, sagte Mutter entschieden.
      »Wenn man fünf Töchter hat, will man sie wegschicken und nur noch Erfreuliches von ihnen hören – und das aus weiter Ferne. Meine Mutter ist eine ehrenwerte Frau, aber sie kann auch so bissig sein, daß es einem durch und durch geht. Hier bin ich die Hausherrin.«
      »Sie haben recht. Man soll nichts überstürzen«, stimmte Mutter ihr zu. »Manchmal benimmt sich jemand schrecklich und wird dann auf einmal gut. Männer sprechen nicht aus, was sie bekümmert. Sie behalten alles für sich.«
      »Er kommt doch zu Ihnen. Was sagt er?« fragte die Frau.
      »Nichts Böses, Gott bewahre.«
      »Trotzdem, was sagt er?«
      »Er beklagt sich über andere – nicht über Sie.«
      »So ist er hier. Aber zu Hause, da bin ich der Sündenbock. Ich bin schuld, daß man ihn nicht als Stadtschächter zugelassen hat. Er läuft mit dem Schächtmesser in der Hand herum, und manchmal habe ich das Gefühl, daß er mich, Gott behüte, abschlachten will.«
      Mutter erschauderte. »Verzeihung, aber Sie reden Unsinn.«
      »Ich fürchte mich vor ihm. Alles, was er tut, ist: er schärft seine Messer und probiert sie am Fingernagel aus. Er ist kein Heiliger, Rebbezin. Er stutzt sich den Bart.«
      Mutters Gesicht wurde blaß. »Wovon sprechen Sie?«
      »Wie sonst käme er zu diesem gepflegten kurzen Bart?« denunzierte ihn seine Frau. »Er schneidet ihn. Er schneidet ihn. Und er ißt vor dem Morgengebet.«
      Mutter begann, an ihrer Perücke zu zupfen. »Ich will nichts mehr hören.«
      »Rebbezin, er ist an meinen unreinen Tagen zu mir gekommen.«
      Mutter warf mir einen zornigen Blick zu. »Was stehst du hier herum? Geh zurück an deine Bücher. Häng nicht den ganzen Tag hier herum wie ein altes Mütterchen.«
      Ich ging in den Hof hinunter und grübelte: Was waren »unreine Tage«? Und was bedeutete: »Er ist zu mir gekommen«? Sie lebten doch zusammen, und also war er sowieso immer bei ihr. Erwachsene hatten so merkwürdige Geheimnisse.
      Ein paar Tage danach erschien Wolf der Schächter abends bei uns. Er war mittelgroß, dicklich, mit rund getrimmtem Bart, roten Bakken und vorstehenden Augen mit Tränensäcken. Sein Blick war hart und kalt wie der eines toten Fisches. Er rollte das R, und aus seinem Mund und den dicken Lippen kollerten die Wörter wie Kieselsteine.
      »Es läuft nicht gut. Gar nicht gut. Fürchterlich. Erst kommt der Reviervorsteher und dann der Polizeidiener. Und jeden mußt du schmieren. Wenn nicht, kann ich nicht arbeiten. Wenn du ohne Genehmigung schlachtest, kriegst du drei Monate Gefängnis. Die Gänsehändler wissen das und hauen mich übers Ohr. Sie zahlen mir halb so viel wie den zugelassenen Stadtschächtern. Rüpel sind das, die vor niemandem Achtung haben. Das übelste Pack von ganz Warschau! Sie tun ein paar Stunden was, überarbeiten sich nicht und sacken fünfzig Rubel die Woche ein, während ich mich bis in die Nacht schinde und nur knapp meine Kosten decken kann. Ich kann mir kaum etwas zum Anziehen leisten. Mit der Arbeit im Keller ruiniere ich mir die Augen. Und dann wirft meine Frau auch noch das Geld zum Fenster hinaus. Alles, was sie tut, ist kaufen, kaufen, kaufen und mit Geld um sich schmeißen. Die Leute glauben, ein Schächter schwimmt in Geld, aber ich habe noch immer Schulden.«
      Vater hörte zu, während er in einem heiligen Buch las. Er hatte keine Geduld mit diesem armseligen Schächter und dessen

Weitere Kostenlose Bücher