Ein bretonisches Erbe
dass der Leichnam des legendären Königs der Tafelrunde hier von seinen Rittern nach keltischem Brauch auf einem brennenden Floß auf die Reise ins Jenseits geschickt worden war. Sie glaubte die Klänge der Dudelsäcke und der dumpfen Trommeln zu hören und spürte geradezu körperlich die Totengesellschaft, die dem scheidenden König das Geleit gab.
Blutrot färbte die Sonne jetzt das Meer, so dass es schien als hätte sie es in Brand gesetzt, um auch ihr die Stelle zu weisen, wo Meer und Himmel in einander übergehen und wo jeder, der diesen Punkt erreicht, von dieser Erde verschwindet, egal ob König oder Bettler.
„So möchte ich auch gehen, mein Kind“, hatte Großvater Pierre damals gesagt.
„Glaubst du an Gott?“, hatte Yuna ihn gefragt. „Artus war ein christlicher König und die Suche nach dem heiligen Gral hat sein Leben erfüllt…“
Ihr Großvater hatte nur nachdenklich den Kopf gewiegt, sie dann aus seinen grauen Augen lange angesehen und gemeint, dass die Religion doch völlig nebensächlich sei. „Wer oder was Gott ist, weiß niemand und kein Sterblicher wird das Geheimnis um seine Existenz jemals lüften. Was allein zählt, ist doch, dass der Mensch ein Leben führt, auf das er stolz sein kann. Ein Leben, in dem er Wahrheit und Gerechtigkeit gedient und verteidigt hat und seine menschlichen Möglichkeiten so genutzt hat, dass es zum Wohle und nicht zum Schaden seiner Mitmenschen war.“
Die Erinnerung an diese Worte zauberte Yuna gerade ein Lächeln ins Gesicht, als plötzlich ein Schatten auf sie fiel.
„Salut“, sagte eine Stimme wie aus dem Nichts und schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Vor ihr stand im Gegenlicht der Sonne die Gestalt eines Mannes. Er hielt ein Surfbrett im Arm und war in einen Neoprenanzug gekleidet, von dem glitzernde Wassertropfen abperlten. Ihr Blick wanderte an dem schlanken, aber muskulösen Körper aufwärts bis zum Gesicht, über welches eine tropfnasse, lange dunkle Haarsträhne fiel, mehr war bei den Lichtverhältnissen nicht zu erkennen.
„Bonne soirée“, grüßte der Mann nun, wohl, weil ihre ausbleibende Reaktion auf sein flottes Salut, ihm signalisierte, dass er es mit einer Fremden zu tun hatte, die er besser erst einmal etwas formeller ansprach. Obwohl er annähernd in Yunas Alter zu sein schien und Franzosen dieser Generation im Umgang miteinander eher locker sind.
„Bonne soirée“, erwiderte Yuna nun und presste die Knie zusammen, wodurch die Urne erneut an den Waden spürbar war. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Beine in einem Fischschwanz zusammengewachsen wären, wie bei einer Meerjungfrau, als sie so bewegungsunfähig im Sand hockte und den Fremden vollkommen unhöflich anstarrte.
Rasch senkte sie daher den Blick auf ihre Füße, was vermutlich aber auch nicht höflicher auf ihn wirkte. Merde, dachte sie, als er überraschend direkt fragte:
„Geht es Ihnen gut?“
Sie nickte etwas geistesabwesend, weil sie überlegte, wie sie angemessen auf ihn reagieren sollte. Er sah, soweit es im Gegenlicht erkennbar war, beeindruckend gut aus… und das machte die Sache wirklich nicht leichter.
„Si, tres bonne, merci“, bemühte sie sich Französisch zu sprechen, tat sich aber etwas schwer, weil ihr in den letzten Jahren die Praxis gefehlt hatte. Er glaubte ihr nicht.
„Sie sind sehr blass“, meinte er vielmehr und streckte ihr seine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. „Kommen Sie, trinken sie einen Café mit mir, dort drüben auf der Hotelterrasse, das bringt den Kreislauf wieder in Schwung und der Blick von da auf das Meer ist sehr schön.“
Yuna ergriff die angebotene Hand jedoch nicht und stammelte stattdessen: „Non, non, non… merci… es, es geht mit gut, wirklich…“ und der Gedanke, jetzt mit diesem attraktiven Fremden zu dem neuen Hotelklotz zu gehen und da vermutlich von den alten Erinnerungen an ihren Großvater überwältigt zu werden, verstärkte ihre Abwehr noch.
Aber der Fremde hatte offensichtlich einen siebten Sinn oder den geschulten Blick eines Arztes. Jedenfalls erfasste Yuna, als sie nach dem Rucksackgriff und abrupt aufsprang, ein leichter Schwindel. Sie fuhr sich automatisch mit der freien Hand an die Stirn und ehe sie noch etwas sagen konnte, stolperte sie vornüber. Der junge Mann reagierte jedoch blitzschnell, ließ das Surfbrett fallen und fing sie in seinen Armen auf. Die waren feucht und kalt, aber Yuna bemerkte es kaum, als sie mit weichen Knien und einem kleinen Keuchen ohne es zu wollen an
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