Ein bretonisches Erbe
lyrischen Namen Route de Langoustines zum Parkplatz am Besucherzentrum der Pointe du Raz führte und die D 607 als Route de Baie durch die Bucht der Verstorbenen in Richtung Pointe du Van verlief. Ohne anzuhalten bog sie ab und brauste mit Vollgas hinunter zum Strand.
Die Gewissheit, nun tatsächlich da zu sein, endlich ihr Ziel erreicht zu haben, ließ in kleinen anwachsenden Wellen ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung und des Glücks in sie einströmen, das sie aus der Realität in einen imaginären Raum spülte, in dem Wärme, Licht und eine nie gekannte Zufriedenheit sie einhüllten.
Angekommen!, dachte sie, lenkte die Maschine in einem halsbrecherischen Ritt geradewegs auf den festen Strand und jagte sie mit letzter Kraft bis zu einer Düne, wo sie schließlich im weichen Untergrund stecken blieb. Dort warf sie sich in den noch warmen Sand unter die Dünengrasbüschel, schloss die Augen und war für ein paar glücksbeschwingte Atemzüge ganz bei sich.
3
Keltische See
Die Sonne, die schon sehr tief stand, sank noch tiefer. Es sah aus, als sei sie gar nicht fern, als brauchte man mit dem Schiff nur bis an den Horizont fahren, um diesen großen Ballon zu erreichen, der da in der Luft nur einige Meter über den Wassern schwebte……
Sie lächelte ihm zu und sah ihm dabei voll ins Gesicht; sie antwortete sehr wenig, aber sie lauschte mit ganzer Seele, mehr und mehr von ihm überrascht und zu ihm hingezogen… Pierre Loti, Islandfischer
Yuna setzte sich auf, öffnete die Augen und als sie sich umblickte, sah sie mit einigem Unbehagen, dass sich erstaunlich viele Menschen am Strand und im Wasser aufhielten und von geheimnisvoller Romantik eher nicht die Rede sein konnte.
Die Küstenstraße führte am Ende des Strandes entlang durch die ganze Bucht und war von zahlreichen geparkten Fahrzeugen, überwiegend Campern, Geländewagen und Kleinbussen, gesäumt.
Dort wo früher nur ein kleines Hotel mit Holzveranda gestanden hatte, befand sich nun der mehrgeschossige Winkelbau eines Hotelklotzes im pseudo-bretonischen Stil mit einer überdimensionierten Betonterrasse. Auch dort parkten viele Autos, aber nun vornehmlich Limousinen gehobenen Standards mit ein paar luxuriösen Ausreißern. Wo war sie nur hingeraten? Yuna schüttelte fassungslos den Kopf. Fünfzehn Jahre konnten doch nicht alles so verändert haben?
Aber besonders erschreckend für sie waren die vielen Menschen, die immer noch laute Fröhlichkeit verbreiteten, obwohl die Sonne sich bereits anschickte unterzugehen. Was wollten die nur alle hier?
Nun, das war nicht allzu schwer zu erkennen. Überwiegend handelte es sich um Surfer, die wegen der attraktiven hohen Wellen ihren Sport in der Baie ausübten. Ein wenig riskant, wegen der nahen und schroffen Klippen der Pointe du Raz und nicht zu unterschätzender Unterströmungen, aber trotzdem immer schon sehr beliebt, besonders bei jungen Leuten, die auf der Suche nach dem ultimativen Kick und dem Thrill der perfekten Welle, waren. Dennoch erinnerte Yuna sich nicht, jemals eine derartige Invasion erlebt zu haben.
Gut, es war Sonntagabend und die Surfer, die sich hier mutig in die Brecher warfen, hatten das schöne Wetter am Wochenende ausgenutzt. Dennoch irritierte es Yuna, den Strand, den sie menschenleer in Erinnerung hatte, so bevölkert vorzufinden.
Wie sollte sie hier ihre Mission erfolgreich zu Ende bringen? Obwohl die Sonne heute einen besonders malerisch Untergang versprach, gab es doch nicht im Entferntesten die Ruhe und Abgeschiedenheit, die eine Bestattung der Urne ihres Großvaters in Würde erlaubte.
Yuna wurde ungeduldig und nur um etwas zu tun, holte sie den Rucksack aus der Gepäckbox des Motorrades, hielt ihn dann jedoch unschlüssig an seinen Riemen in den Händen. Eine seltsame Hilflosigkeit lähmte sie. Was nun? Irgendwie hatte sie das Gefühl zur völlig falschen Zeit am gänzlich falschen Ort zu sein… oder nein, der Ort war schon richtig und auch die Stunde stimmte… nur… es war nicht mehr die Bucht, an die sie sich erinnerte. Fünfzehn Jahre hatten aus einer unwirtlichen Einöde eine Touristen–Attraktion gemacht und wo früher nur die Möwen kreischten, krakelten lauthals die Kinder der Surfer am Strand.
Yuna ging zögernd ein paar Schritte durch den weichen Sand und setzte sich dann wieder, diesmal in eine Kuhle zwischen zwei Dünenhügeln, auf deren Kuppen die langen Schwingel des Dünengrases sich im frischen Wind wiegten. Sie würde warten müssen.
Die
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