Ein bretonisches Erbe
im Haus ihres Großvaters vorfinden würde, …ach, nein, es war ja nun bald ihr Haus… Yunas Haus! Sie sprach es laut aus, schrie es gegen den Fahrtwind förmlich heraus und es klang einfach nur großartig in ihren Ohren.
Der Gedanke befeuerte sie schneller zu fahren und so holte sei alles aus der Maschine heraus und schoss mit viel zu waghalsigem Tempo über die D 43, um möglichst bald an ihr Ziel zu gelangen.
Atemlos und mit leicht zittrigen Oberschenkeln erreichte sie Quimper und machte dort auf dem Platz vor der beindruckenden gotischen Kathedrale eine kurze Rast. Sie setzte sich in eins der Bistros, die ihre Stühle und Tische bereits bei den ersten Sonnenstrahlen ins Freie gestellt hatten. Bretonischer Kuchen und schwarzer Café mussten diesmal als Aufputschmittel herhalten und verfehlten ihre Wirkung nicht.
Ihr Blick glitt über die Fassade des Gotteshauses. Dreihundert Jahre hatte es bis zu seiner Vollendung gebraucht, denn wie beim Kölner Dom waren die Spitztürme erst im 19.Jahrhundert aufgesetzt worden. Immerhin, dachte sie, manche Bauruine der Neuzeit dagegen würde wohl nie beendet werden.
Maximal noch eine Stunde Fahrt über die Landstraße und durch kleinere Weiler, dann sollte sie die Baie des Tréspassés erreicht haben.
Yuna zahlte und stieg wieder auf das Motorrad. Es war staubig von der langen Fahrt und wohl genau wie sie ein bisschen müde, denn es wollte auch nach dem dritten Versuch nicht anspringen.
Ihre erste Reaktion war Ärger. Das fehlte gerade noch, dass kurz vor dem Ziel, das Motorrad seinen Geist aufgab. Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die Haare ins Gesicht fielen. Bitte nicht, flehte sie innerlich und bat inständig darum, dass das Schicksal einmal nicht so gemein zu ihr sein würde, wie sie es sonst in letzter Zeit von ihm gewöhnt war. Hätte es nicht gereicht, dass Michael sie verlassen hatte, musste er sich auch noch mit dem Motorrad zu Tode fahren?
Aber es brachte ja nichts, immer wieder darüber zu hadern, und dass es müßig war, mit des Geschickes Mächten einen Bund flechten zu wollen, das hatte schon Friedrich Schiller gewusst. Also riss Yuna sich zusammen und zwang sich, die Maschine erst einmal gründlich zu inspizieren, woraufhin sich das Problem schnell klärte: kein Benzin. Sie fasste sich an den Kopf, der war auch schon mal besser in Form. Das war doch sonst das Erste, was sie kontrollierte. Aber eigentlich hatte sie noch nicht mit einem leeren Tank gerechnet, schluckte ganz schön was weg, dieser Oldie!
Sie erinnerte sich, am Ortseingang eine Tankstelle gesehen zu haben und so schob sie die Maschine dahin zurück. Keuchend und schwitzend kam sie dort an, nur um festzustellen, dass geschlossen war. Sie hockte sich frustriert auf den Sattel. Was war denn nun schon wieder falsch an dem, was sie tat?
Sie brauchte Benzin, wenn hier keins zu kriegen war, musste sie es an einer andere Tankstelle versuchen. Aber wo war die zu finden? Sie schaltete ihr Handy ein, um die Lage zu googeln, warf aber nun doch erst einmal einen Blick auf die Kontakte und Benachrichtigungen. Sie stellte fest, dass ihre Befürchtungen zutrafen und eine Unmenge an Anrufen und SMS´s eingegangen waren. Fast alle von ihrer Mutter und ihrem Bruder. Yuna beschloss, sich später darum zu kümmern. Im Moment hatte sie denen ohnehin noch nichts zu sagen, da sie ihrem Vorsatz treu bleiben wollte, mit ihrer Familie erst zu reden, wenn ihre Mission „Opas Asche“ abgeschlossen war.
Inzwischen war ein bärtiger Franzose in einer himmelblauen Latzhose aufgetaucht und entsperrte die Zapfsäulen.
Wort- und gestenreich erklärte er, dass er einen Termin beim Zahnarzt gehabt hätte und deswegen kurz schließen musste. Er betankte das Motorrad und als Yuna diesmal den Zündschlüssel drehte und leicht Gas gab, sprang es auch gleich willig an.
Also weiter, dachte sie, in einer Stunde bin ich am Meer! Dort wo der bretonische Ozean Celtic Sea hieß, weil da die Kelten traditionell ihre Toten dem Meer übergeben hatten, damit sie auf Feuerflößen ihre Reise zu dem geheimnisvollen Ort hinter dem Horizont antreten konnten, den man heute gemeinhin als das Jenseits bezeichnet, aber deswegen noch lange nicht kennt…
Yuna erreichte Plouvezec , den letzten Weiler vor der Pointe du Raz, als die Sonne sich bereits zu senken begann. Sie durchquerte den Ort, der überwiegend aus niedrigen weißen, mit grauem Schiefer gedeckten, Häusern bestand, und fuhr bis zur Gabelung, wo die D784 unter dem
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