Ein Buch für Hanna
Freude. »Oh, ich komme gern«, sagte sie und dachte dankbar an das Geld, das Herr Golde ihr damals zum Abschied gegeben hatte. Jetzt würde sie es brauchen können, um die Busfahrt zu bezahlen. Sie überlegte lange, was sie als Gastgeschenk mitbringen könnte, und fragte Inger Abrahamson um Rat. »Vielleicht ein Glas eingemachte Gänseleber und einen geräucherten Fisch«, sagte Inger.
Bente war sofort bereit, Hanna die Sachen mitzugeben, sie legte sogar noch ein Säckchen getrockneter Pfifferlinge und ein Glas Preiselbeermarmelade dazu.
Schließlich war es so weit. Hanna packte ein paar Kleidungsstücke und die Geschenke in den Rucksack, der sie schon seit Leipzig begleitete, und fuhr mit dem Bus über Odense nach Middelfart, wo Herr Hvid und Sarah sie mit dem Auto abholen wollten.
Die Villa neben der Mühle war groß und sehr gemütlich eingerichtet, nicht so pompös wie die Wohnung der Goldes in Kopenhagen, aber auch nicht so karg wie das Haus der Børresens. Sarahs Mutter, eine schöne, dunkelhaarige Frau mit einer auffallend tiefen Stimme, umarmte Hanna zur Begrüßung und hieß sie so herzlich willkommen, als wäre sie ein lange vermisstes Familienmitglied. Auch Samuel, Sarahs älterer Bruder, der in Kopenhagen Musik studierte, war zu den Feiertagen nach Hause gekommen. Er war so dunkelhaarig wie seine Mutter und sah ebenso gut aus, während die blonde Sarah eher ihrem etwas farblosen Vater glich. Hannah fühlte sich sofort wohl in diesem Haus, in dieser Familie.
Der Vorabend des Neujahrsfestes fiel auf den 1. Oktober. Sie saßen um den festlich gedeckten Tisch, auf dem Kerzen brannten, und ein Dienstmädchen, das höchstens so alt war wie Hanna, servierte die Speisen. So gut hatte Hanna schon lange nicht mehr gegessen. Es gab Hühnersuppe mit Klößchen, danach Fisch und einen Kalbsbraten, gefüllt mit Feigen, die Hanna bisher nur aus Büchern kannte. Als Nachtisch tunkten sie Apfelstücke in Honig, wie es die Juden auf der ganzen Welt taten, und wünschten sich, dass das neue Jahr ebenso süß werde. Nach dem Essen gingen sie in den Salon und machten den Radioapparat an. In der BBC wurde eine Warnung durchgegeben, eine große Aktion gegen die dänischen Juden stehe bevor.
Frau Hvid schlug erschrocken die Hand vor den Mund. »Das haben wir jetzt von all den Streiks und den Sabotageakten«, sagte sie. »Es war nur ein Anfang, dass die Deutschen das Kriegsrecht über Dänemark verhängt und einen Bevollmächtigten des Deutschen Reichs eingesetzt haben. Ich habe gleich gewusst, dass von diesem Werner Best * nichts Gutes zu erwarten ist, und unser König kann uns nicht mehr helfen.«
Doch ihr Mann beruhigte sie. »Wir haben nichts zu befürchten«, sagte er und goss ihr ein Glas Wein ein. »Die dänische Untergrundbewegung arbeitet mit der Polizei und den jüdischen Organisationen zusammen. Sie haben versprochen, uns rechtzeitig zu warnen, damit wir uns in Sicherheit bringen können. Das ist eine Fehlmeldung der BBC, du weißt doch, dass man sich nicht auf alles verlassen kann, was im Radio gebracht wird.«
Das Gespräch, in das sich auch Samuel und Sarah einmischten, ging weiter, Hanna drückte sich tiefer in den Sessel, ihr war kalt vor Angst und trotzdem spürte sie Schweißtropfen unter ihren Achselhöhlen und zwischen ihren Brüsten, kalte Schweißtropfen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Es war das Wort Aktion, das sie in Panik versetzte. Auch Efraim sprach immer von Aktionen. Jeder Deportation ging eine Aktion voraus, eine Aktion war der Anfang einer Katastrophe. Erst als der Name Duckwitz fiel, hatte sie sich wieder so weit unter Kontrolle, dass sie fragen konnte, wer das sei.
»Georg Ferdinand Duckwitz * ist ein Deutscher, der in Kopenhagen lebt, aber er ist kein Nazi«, antwortete Herr Hvid. »Er arbeitet als Attaché im Dienst der deutschen Abwehr in Kopenhagen. Aber man sagt, dass er sich für die dänischen Juden einsetzt. Und dann gibt es ja noch die dänische Untergrundbewegung, die Kontakt mit den jüdischen Organisationen hat.« Er lachte zufrieden. »Ihr seht, wir brauchen keine Angst zu haben. Es gibt genügend Leute, die uns beschützen.«
Er sprach so sicher, so überzeugend, und seine Zuversicht wirkte so ansteckend, dass Hanna ihre Bedenken zur Seite schob. Sie fragte auch nicht, woher er das alles wusste, das hätte sich angehört, als zweifle sie an seiner Glaubwürdigkeit.
Auch seine Frau hatte sich beruhigt, sie sah wieder ganz entspannt aus. Nun wandte sie sich an
Weitere Kostenlose Bücher