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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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sich auch bemühte, die Ungeduld und die Unlust in ihrem Inneren blähten sich auf und drohten sie zu ersticken. Immer häufiger dachte sie an früher, an die Schule, und verstand nicht mehr, dass sie damals so bereitwillig aufs Lernen verzichtet hatte, sie war doch immer gern zur Schule gegangen. Und wie stolz war sie gewesen, als die Lehrerin ihren Aufsatz über den Herbst am Flussufer laut vorgelesen hatte! Sie war eine gute Schülerin gewesen, sogar eine sehr gute. Erst als Janka weggeschickt worden war, hatte sie angefangen, sich zu langweilen. Warum eigentlich? Warum hatte sie danach geglaubt, ihr Leben sei öde und leer? Sie hätte doch verstehen müssen, dass es in der Schule jeden Tag etwas Neues zu lernen gab, etwas Neues zu denken. Und jetzt?
    Sie beklagte sich bei Mira über die Eintönigkeit ihrer Tage auf dem Lindenhof und sprach auch von ihrer Sehnsucht danach, etwas anderes zu erleben, etwas zu lernen. Mit wem hätte sie sonst sprechen können? Etwa mit Bente? Das war unvorstellbar, Bente würde sie nicht verstehen. Ihre Erwartungen und Wünsche an das Leben bestanden nur in Arbeit, Essen und Schlafen.
    Mira sagte: »Verdammt, Hanna, du bist siebzehn. In deinem Alter sollte man ins Kino gehen, man sollte sich mit Jungen verabreden, man sollte tanzen. Ich verstehe gut, dass du alles satthast und dich nach ein bisschen Abwechslung sehnst.« Und als sie sah, dass Hanna den Tränen nahe war, fügte sie hinzu: »Ich werde mit Efraim darüber sprechen, vielleicht fällt ihm etwas ein.«
    Ein paar Wochen später schlug Efraim Hanna vor, an einem Kurs für Hauswirtschaftslehre teilzunehmen, und Hanna nahm das Angebot begeistert an. Erst hatte sie Angst, Bente würde sie nicht gehen lassen, aber ihre Angst war unbegründet. Bente und der Bauer stimmten sofort zu. »Es kann dir später im Leben nur nützen, wenn du etwas lernst«, sagte Bente. »Du sollst nicht so dumm bleiben wie ich.«
    Der Kurs begann im Juli und fand in einem ehemaligen Landschulheim in der Nähe von Nyborg statt. Erst war Hanna erschrocken, als sie merkte, dass ihre Finger ihr beim Schreiben nicht mehr gehorchten, sie bewegten sich langsam und ungelenk, und außerdem hatte sie große Schwierigkeiten mit der dänischen Rechtschreibung. Früher war sie immer die Beste in Deutsch gewesen, sie war für ihre Aufsätze gelobt worden, für ihre schöne Schrift, für ihre fehlerfreie Rechtschreibung. Bin ich denn so dumm geworden?, dachte sie verzweifelt und mutlos.
    Doch alles änderte sich, als die Lehrerin für Hygiene und Krankenpflege anfing, ihr Nachhilfeunterricht zu geben, von da an wurde es jeden Tag besser und bald schrieb sie wieder so flüssig wie früher. Hanna blühte auf, sie genoss es, zu lernen.
    Ein ganz besonderes Vergnügen bereitete es ihr, ihre Hefte ordentlich zu führen. Stundenlang konnte sie abends dasitzen, um mit Buntstiften Bilder zu verschiedenen Themen zu malen. Das hatte sie schon früher gern getan. Für das Fach Vorratshaltung malte sie einen Kellerraum mit Schränken und Regalen, für Textilverarbeitung zeichnete sie verschiedene Arten von Nähten, von Verschlüssen und Ausbesserungsmethoden. Als es um häusliche Krankenpflege ging, dachte sie plötzlich wieder an die verstorbene Bäuerin, deren langes Siechtum sie ja noch mitbekommen hatte, und daran, wie aufopfernd Bente sie gepflegt hatte. Zerknirscht nahm sie sich vor, Bente gegenüber freundlicher zu sein und ihr die Zuneigung auch zu zeigen, die sie für sie empfand.
    Hanna war so ausgehungert nach Wissen, dass sie alle Fächer spannend fand, Ernährungslehre, Lebensmittelkunde, Ausstattung einer Wohnung und ihre Pflege, soziale Aufgaben in der Familie, das Planen eines Nutzgartens und seine Bewirtschaftung, Kinderpflege, sogar Instandhaltung der Wäsche. Bei den Gruppentreffen erzählte sie von sich aus von ihrem Kurs und von den anderen Schülerinnen, unter denen sich auch drei jüdische Mädchen befanden. Mit einer von ihnen, Sarah Hvid, hatte sie sich gleich angefreundet.
    Als die Hohen Feiertage näher rückten, teilte ihnen Efraim mit, dass sie dieses Jahr das Neujahrsfest nicht gemeinsam begehen könnten, er müsse zu seinen Eltern fahren, weil seine Mutter krank geworden sei. Hanna war enttäuscht, doch am Tag darauf lud Sarah sie ein, Rosch Haschana zusammen mit ihrer Familie zu verbringen. Sie wohnten in einem abgelegenen Haus zwischen Middelfart und Fredericia, neben der Getreidemühle ihres Vaters. Hanna war überrascht, sie wurde rot vor

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