Ein Buch für Hanna
Arbeitslager schickte. Doch dann tröstete sie sich damit, dass es auch in einem Arbeitslager Wäsche gab, die geflickt und ausgebessert werden musste.
Ab und zu kamen Gerüchte auf, die Deutschen wollten die dänischen Juden ebenfalls deportieren, aber nichts passierte und die Gerüchte versickerten wieder wie Wasser im Sand. »Wenn die Deutschen hier in Dänemark etwas gegen die Juden unternehmen wollten, hätten sie es doch schon in den letzten zweieinhalb Jahren tun können, oder etwa nicht?«, sagte Rebekka. Die anderen stimmten zu, weil sie ihr so gerne glauben wollten, und Mira betonte, dass die dänischen Juden noch nicht mal einen gelben Stern tragen müssten. In Dänemark war alles anders, Dänemark war sicher, das wiederholten sie so oft, bis auch Hanna anfing, es zu glauben. Aber ihre Zweifel ließen sich nicht ganz verdrängen.
»Ich habe Angst«, bekannte sie.
»Brauchst du nicht zu haben«, sagte Rachel beruhigend.
Und Mira legte den Arm um ihre Schulter und sagte: »Püppchen, du bist und bleibst ein kleines Schaf.«
Efraim gab sich große Mühe, die Mädchen aufzumuntern, deshalb schlug er vor, am 1. Januar ein Neujahrsfest zu feiern und zwei, drei Gruppen von anderen Inseln dazu einzuladen. »Jeder Grund zum Feiern soll uns recht sein«, sagte er. »Habt ihr früher, daheim, nicht auch die christlichen Feiertage mitgefeiert?«
»Alle außer Ostern«, sagte Rachel. »Eine prima Idee, Efraim. Endlich mal ein bisschen Abwechslung.«
Inger Abrahamson, die inzwischen Schulas Schwägerin geworden war, half ihnen bei den Vorbereitungen. Sie machte eine Liste, welche Lebensmittel die Mädchen von ihren Höfen mitbringen sollten, und organisierte eine Scheune, die groß genug war, dass die Gäste nach der Feier darin schlafen konnten. Efraim hatte verschiedene Gruppen von anderen Inseln eingeladen, an die zwanzig Jugendliche kamen. Nach dem Essen gab es Musik, sie sangen und tanzten Hora, wie sie es früher auf der Hachschara getan hatten.
Hanna betrachtete die Jungen und Mädchen, von denen sie die meisten kannte, entweder von der Fähre und dem Zeltlager oder weil sie ihnen irgendwann in Kopenhagen begegnet war, im Zentrum, dem Treffpunkt der jüdischen Jugend, und sie wunderte sich darüber, dass sie ihr so fremd vorkamen. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, warum das so war. Sie unterhielten sich so selbstverständlich auf Dänisch, als hätten sie nie eine andere Sprache gesprochen. Es lag also nicht nur an Efraim, dass sie, nachdem Schula sie verlassen hatte, bei ihren Gruppentreffen angefangen hatten, nur noch Dänisch zu sprechen, die anderen taten es auch. Waren sie in diesen dreieinhalb Jahren zu Dänen geworden?
Efraim hielt eine lange Ansprache. »Abgesehen davon, dass die Alliierten durch den Eintritt der USA in den Krieg viel stärker geworden sind, hat sich auch das Kriegsglück von Hitlers Truppen gewendet«, sagte er. »Die Deutschen haben den russischen Winter unterschätzt. Dreißig Kilometer vor Moskau sitzen sie fest, die Kälte hat sie mit minus dreißig Grad überfallen, und bei solchen Temperaturen versagen Motoren und Waffen und ihre schweren Panzer frieren im Schlamm fest. Die Deutschen sind eingekesselt, sie haben Schwierigkeiten mit dem Nachschub und leiden unter Hunger und Kälte. Die russischen Truppen kämpfen ausdauernder als erwartet. Der Kampf um Stalingrad dauert nun schon seit August, er ist nicht zu gewinnen. Das ist die Wende, sagen sie in der BBC, das ist der Anfang vom Untergang der Nazis, sie werden den Krieg verlieren. Ihr könnt das ruhig glauben. Selbst wenn die BBC vielleicht ein bisschen übertreibt, werden die Alliierten letztlich siegen, das erkennt jeder, der nur ein bisschen Verstand im Kopf hat.« Am Schluss seiner Rede hob Efraim das Glas und sagte: »Chawerim und Chawerot * , lasst uns hoffen, dass uns das Jahr 1943 unserem großen Ziel Palästina näher bringt.«
Doch erst einmal ging das Jahr im üblichen Trott weiter, ein Tag war wie der andere: bei Dunkelheit aufstehen, Tiere versorgen, frühstücken, arbeiten, zu Mittag essen, arbeiten, zu Abend essen, schlafen. Es gab nichts Neues. Hanna langweilte sich, jeder Handgriff war ihr bis zum Überdruss vertraut, und wenn Bente den Mund aufmachte, wusste Hanna im Voraus, was sie sagen würde. Natürlich war ihr klar, wie ungerecht sie war, sie wies sich selbst zurecht. Woher sollte Bente denn etwas Neues wissen, sie hatte ja ihr ganzes Leben in dieser Langeweile verbracht. Aber sosehr sie
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