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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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leicht baumelnd wie die Arme einer Marionette. Der Mann mit der Liste hatte Hanna entdeckt. Er deutete auf sie und fragte: »Und wer ist das?«
    Frau Hvid trat einen Schritt vor. Für einen Moment war sie wieder die schöne Frau vom vergangenen Abend, die Dame des Hauses. »Das Mädchen gehört nicht zu uns«, sagte sie in festem Ton. »Sie ist nur zu Besuch.« Sie wandte den Kopf, schaute Hanna an. »Geh nach Hause, Kind, deine Eltern werden sich schon Sorgen machen, wo du bleibst.«
    »Wie heißt du?«, fragte der Mann.
    Hanna machte den Mund auf, aber nur ein Krächzen drang aus ihrer Kehle.
    »Deinen Namen!«, fuhr er sie an.
    Sie kämpfte mit dem Brocken in ihrem Hals, und als sie ihren Namen schließlich herausbrachte, klang ihre Stimme rau und schnarrend.
    »Bist du Jüdin?«, fragte einer der Deutschen, an seinen Schulterstücken als ranghöher zu erkennen, vielleicht war er ein Offizier, ganz offensichtlich aber der Leiter der Aktion. Er sprach Dänisch mit einem starken deutschen Akzent.
    »Nein«, rief Frau Hvid und schüttelte den Kopf.
    Doch Hanna nickte. »Ja, ich bin Jüdin«, sagte sie. Zu ihrem Erstaunen gehorchte ihre Stimme ihr jetzt.
    Der Offizier warf ihr einen Blick zu, mit gerunzelten Augenbrauen, bevor er sich an die anderen wandte. »Wir nehmen sie mit. Je mehr, umso besser. Und jetzt Schluss mit dem Gequatsche, wir sind hier nicht im Kindergarten.«
    Der Zivilist, der vorher schon gesprochen hatte, hob seine Waffe und richtete sie auf die verschreckten Juden. »Versteht ihr nicht, was man euch sagt? Anziehen und fertig machen zum Transport!«
    Und dann ging alles sehr schnell. Sie sollten das Nötigste zusammenpacken, nicht mehr, als sie bequem tragen könnten, in einer halben Stunde würden sie abgeholt, teilte ihnen der Offizier mit. Im Gegensatz zu seinen Untergebenen sprach er mit ruhiger, allerdings absolut gleichgültiger Stimme. Dann befahl er zwei Soldaten, zurückzubleiben und die Juden zu bewachen, damit ja keiner auf die Idee kommen würde, abzuhauen.
    Hanna packte ihre Anziehsachen in den Rucksack und bedauerte nur, dass sie den Umschlag mit den Fotos nicht mitgenommen hatte, er war auf dem Lindenhof geblieben, in ihrem und Bentes Schrank. Sie wunderte sich über die sonderbare Ruhe, die sie empfand, ihre innere Anspannung hatte sich gelöst, sie fühlte sich fast erleichtert. Ihr war, als könne ihr nichts mehr passieren, nun, da das Schlimmste schon geschehen war. Als sie ihren Kapuzenmantel anzog, erinnerte sie sich dankbar an Frau Golde, die ihn damals auf Zuwachs gekauft hatte. Inzwischen war er nicht mehr neu, ein bisschen zu eng war er ihr auch und die Ärmel reichten nur noch knapp bis zu den Handgelenken, aber das war nicht schlimm, Hauptsache, er war warm.
    Herr und Frau Hvid und Sarah und Samuel hatten sich bereits angezogen. Schweigend rannten sie herum und suchten Decken und warme Kleidungsstücke zusammen und Frau Hvid drückte Hanna zwei Pullover und eine braune Wolldecke in die Hand. »Danke«, sagte Hanna, überrascht und gerührt davon, dass die Frau, der man die Panik ansah, trotz ihrer eigenen Sorgen noch so viel Mitgefühl aufbrachte, an andere zu denken. Sarah und ihre Eltern packten ihre Sachen in drei Koffer und zwei Taschen, nur Samuel besaß einen großen Rucksack. Und während der ganzen Zeit standen die beiden Soldaten, die Gewehre im Anschlag, im Flur, mit dem Rücken zur Tür, versperrten mit ihren Körpern den Ausgang und machten jeden Gedanken an Flucht unmöglich. Hanna hätte ihnen am liebsten gesagt, wie lächerlich ihre drohende Haltung angesichts dieser Situation war, man sah den Hvids doch an, dass sie sich in ihr Schicksal gefügt hatten, und wer richtete schon sein Gewehr auf verschreckte Hühner.
    Das junge Dienstmädchen stolperte mit einem ebenfalls gepackten Koffer die Treppe herunter. Einer der Soldaten sagte mürrisch auf Deutsch: »Du kannst dableiben, wir nehmen nur die Juden mit.«
    Hanna übersetzte es ihr leise. Das Mädchen ließ den Koffer fallen, der die letzten Stufen hinunterpolterte, griff nach dem Geländer und blieb mit aufgerissenen Augen stehen. Ihr Mund öffnete sich, als wolle sie anfangen zu schreien, aber nur ein Keuchen kam heraus. So stand sie noch immer da und starrte ihnen hinterher, als der Lastwagen kam, um sie abzuholen.
    Soldaten stießen und schoben sie auf eine offene Ladefläche, auf der schon viele Leute dicht gedrängt saßen, Männer, Frauen und Kinder. Hanna ließ sich einfach zu Boden sinken,

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