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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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finden den Heimweg nicht mehr. Und sie sind in großer Gefahr, weil in der Nähe eine böse Hexe wohnt. Die lockt nämlich Kinder an und verbackt sie zu Lebkuchen. Ihr ganzes Haus ist aus Lebkuchen gebaut.«
    »Brundibár und die Hexe, das passt«, sagte Marek und lachte. »In unserer Oper kommen erst ein Spatz und eine Katze und dann ein Hund. Die Tiere sagen, einer allein kommt nicht gegen Brundibár an, aber wenn alle helfen, kann man ihn besiegen.« Wieder beugte Marek sich vor und sang: »Wehe dir, Brundibár, morgen früh sind wir da! Und danach kommt eine sehr schöne Serenade, während die Kinder schlafen.«
    »In meiner Oper sind es das Sandmännchen und vierzehn Engel«, sagte Ursula. »Das Sandmännchen streut ihnen Sand in die Augen und Hänsel und Gretel singen: Abends will ich schlafen gehen … Die vierzehn Engel stellen sich im Kreis um die Kinder und bewachen ihren Schlaf. Aber morgens werden sie doch von der Hexe gefangen und eingesperrt.«
    »Der Spatz und die Katze und der Hund trommeln am Morgen alle Kinder der Nachbarschaft zusammen und bitten sie um Hilfe. Sie erzählen den Kindern, dass Pepíček und Aninka für ihre kranke Mutter Milch brauchen und deshalb singen wollen. Aber der gemeine Brundibár erlaubt es ihnen nicht. Wenn sie alle zusammen singen würden, wären sie lauter als Brundibár. Die Kinder sind bereit, Pepíček und Aninka gegen den bösen Brundibár zu helfen.«
    »Die Hexe will Hänsel mästen, bis er fett genug ist zum Braten«, unterbrach ihn Ursula. »Doch zuerst will sie Gretel zu einem Lebkuchen verbacken. Sie fordert Gretel auf, in den Backofen zu kriechen, um nach den Lebkuchen zu schauen. Aber Gretel stellt sich dumm. Deshalb muss die Hexe ihr vormachen, wie es geht, und Gretel stößt sie schnell tiefer in den Backofen und schlägt die Tür zu.«
    »Die Kinder und die Tiere singen im Chor und tatsächlich übertönen sie Brundibár. Und der Hund zieht den bösen Leierkastenmann noch an der Hose fort. Brundibár flieht. Und Pepíček und Aninka singen mit ihren Freunden gemeinsam noch ein schönes Wiegenlied. Sie bekommen tatsächlich genug Geld, dass Pepíček und Aninka für ihre Mutter Milch kaufen können. Natürlich wird sie gesund. Es ist eine schöne Oper, und es geht immer darum, dass man nur gemeinsam stark ist. Dass man Freunde braucht, um etwas zu erreichen. Die letzten Male habe ich den Hund Azor gesungen, davor war ich im Chor. Die Besetzung wird oft geändert, weil immer wieder Mitglieder der Truppe mit einem Transport in den Osten geschickt werden.«
    »In meiner Oper explodiert das Hexenhaus, und alle Lebkuchen werden wieder zu den Kindern, die sie vorher gewesen sind. Und am Schluss singen und tanzen alle.«
    »In Brundibár auch. Da singen und tanzen am Schluss auch alle.«
    Hanna betrachtete die beiden, die sich so angeregt unterhielten. Und sie dachte: Wir sind wie eine Insel, ich am Kopfende des Bettes, Ursula am Fußende, und dazwischen Marek auf einem Stuhl, vorgebeugt, die Ellenbogen auf das Bett gestützt. Wir sind wie eine Insel im Jammertal. Fast hätte sie gelacht über das Wort Jammertal, das ihr plötzlich eingefallen war.
    »Es sind halt Märchen«, sagte sie. »Und die meisten Märchen gehen gut aus. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Nur bei Hans Christian Andersen gehen die Märchen manchmal traurig aus.«
    »Und wann spielt ihr wieder?«, fragte Ursula.
    »In zwei Wochen.«
    »Darf ich dann auch mit?«
    »Wenn du dich beeilst mit dem Gesundwerden.«
    Später, als Marek gegangen war und Hanna eigentlich schon schlafen wollte, spürte sie plötzlich, wie Ursula nach ihrer Hand tastete.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Du bist in Marek verliebt«, sagte das Mädchen. »Und Marek ist in dich verliebt.«
    »Du spinnst ja«, sagte Hanna.
    »Nein, ich spinne nicht. Ihr seid verliebt.« Ursula kicherte und ließ sich zurückfallen.
    Hanna zog die Füße an, um nicht gegen Ursulas Beine zu stoßen. Verliebt, dachte sie. Bin ich wirklich verliebt in ihn? So wie Mira in Efraim verliebt war? Sie wusste es nicht. Er war hübsch, sie hatte sich an ihn gewöhnt, sie war ihm dankbar, unendlich dankbar. Und außerdem war es angenehm, in Theresienstadt an etwas anderes zu denken. Aber verliebt? Vielleicht ja.
    Ein paar Tage später wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen.

Dreizehntes Kapitel
    M ira holte Hanna vom Krankenhaus ab. Weil es noch immer kalt war, hatte sie ihren Kapuzenmantel für sie mitgebracht. Als Hanna

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