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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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darauffolgenden Woche mehr als nur eine Zeitverschwendung: eine riesige Enttäuschung. Die Whiskyfahne und die Geschichte von vereitelter Mutterschaft zauberten ein zynisches Lächeln auf die Gesichter aller Anwälte, mit denen sie sprach, und als die Woche zu Ende ging, war sie immer noch ohne den Beistand eines juristischen Beraters.
    Am Sonnabendnachmittag döste sie gerade vor sich hin, als sie von einem Klopfen an der Tür geweckt wurde. Heiser rief sie »Herein!« und erhob sich schwankend von ihrer Couch. Als sie sah, dass es sich bei dem Besuch um einen Mann handelte, strich sie sich das krause Haar aus dem Gesicht. »Kenne ich Sie?« sagte sie.
    Der Mann trug einen grauen Anzug, darunter ein buntes Sporthemd. Er war klein, mit schütterem schwarzem Haar und scharfem gelblichem Gesicht. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte den Hut auf seine Knie. »Mein Name ist Arnes«, sagte er. »Phil Arnes. Sie kennen mich zwar nicht, aber ich kenne Sie. Wie ich hörte, suchten Sie in der ganzen Stadt nach einem Anwalt.«
    »Und was geht das Sie an?«
    »Ich bin Anwalt«, sagte er lächelnd.
    »Sie? Sie sehen eher wie ein Taschendieb aus.«
    »Das bezweifle ich«, erwiderte er liebenswürdig. »Im Jahre 1949 wurde ich von der Bar Association als Anwalt zugelassen. Bisher war ich auf Fälle von Vernachlässigung spezialisiert, aber dann hatte ich Pech. Einer meiner Freunde erzählte mir von Ihnen, und deswegen fasste ich den Entschluss, bei Ihnen mal reinzuschauen. Einverstanden?«
    »Reine Zeitverschwendung für Sie«, sagte Lottie mürrisch. »Ich habe nämlich keinen einzigen Cent. Und das allein interessiert euch Gauner doch dabei.«
    »Über mein Honorar habe ich noch kein einziges Wort gesagt. Ich wollte mir lediglich Ihre Geschichte anhören.«
    Lottie, die ihre kleine Ansprache mittlerweile auswendig konnte, wiederholte sie noch einmal.
    »Wie heißen Sie mit Vornamen?« fragte er.
    »Lottie.«
    »Wissen Sie, was ich glaube, Lottie? Meiner Ansicht nach scheren Sie sich keinen Deut darum, Ihr Kind wieder zurückzubekommen. Was will denn ein Mensch wie Sie ausgerechnet mit einem siebenjährigen Kind!«
    »Hören Sie zu: Wenn Sie so mit mir reden...«
    »Regen Sie sich nicht auf«, sagte Arnes und drehte langsam seinen Hut.
    »Ich weiß genau, was Sie in Wirklichkeit wollen. Und das ist auch das, was mich interessiert.«
    »Und das wäre?«
    »Geld, Lottie. Sie wollen die Birdwells nur möglichst ausgiebig melken. Irre ich mich, oder habe ich recht?«
    »Scheren Sie sich zum Teufel.«
    »In Ordnung«, sagte er und erhob sich. »Wenn Sie dieser Ansicht sind.«
    »Warum denn so eilig?« sagte Lottie. »Bisher haben Sie doch noch gar nichts gesagt!«
    »Das«, sagte der. Anwalt grinsend, »gefällt mir schon besser.«
    Er zog einen Stuhl heran und blickte direkt in ihre tränenden Augen. »Wieviel haben Sie verlangt?«
    »Hundert pro Woche. Eigentlich wollte ich hundertfünfzig haben, aber da hat er Zeter und Mordio geschrien. Er ist Ingenieur; viel verdient er nicht.«
    »Dass ich nicht lache! Haben Sie noch nie die Stellenangebote für Ingenieure gesehen? Die verdienen doch heute Unsummen. Jedenfalls haben Sie die ganze Geschichte falsch angepackt. Die Sache mit einer Rente ist doch Quatsch. Viel besser ist es, man holt eine große Summe aus ihnen heraus. Was würden sie von fünfundzwanzig Tausendern halten, und zwar jetzt gleich, auf ein Mal?«
    Lottie seufzte.
    »Soviel wie von einer ganzen Million!«
    »Wenn ich Ihnen zeige, wie man es macht, beträgt mein Honorar zwanzig Prozent.«
    »Wenn Sie mir zeigen, wie ich zu dem Geld komme – und nicht zu dem Kind, vergessen Sie das nicht –, ist es mir das wert.«
    Arnes betrachtete seine Fingernägel.
    »Sie entführen das Kind.«
    »Was?«
    »Sie haben gehört, was ich gesagt habe. Wie heißt das Kind?«
    »Eileen.«
    »Sie entführen also Eileen. Sie schnappen sich das Mädchen. Dann bringen Sie es irgendwohin und rufen die Birdwells an, dass Sie sie nicht zurückgeben werden. Es sei denn, sie bezahlen.«
    »Sind Sie wahnsinnig? Glauben Sie etwa, ich will mir eine Strafe wegen Kindesentführung einhandeln? Wenn man so was tut, sitzt man sein ganzes Leben hinter Gittern!«
    Arnes grinste noch breiter. »Wofür? Dafür, dass man sein Eigentum wieder in Besitz nimmt? Sie irren sich, Lottie. Wenn man sich sein eigenes Kind zurückholt, ist das keine krumme Sache. Ich kenne ein Dutzend Fälle wie diesen, wo Ehepaare, die getrennt leben, sich gegenseitig die

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