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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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eine kleine Plauderei
zu erwerben.
    „War der Schein falsch?“ fragte
ich.
    Er zuckte die Achseln und antwortete:
    „Die jungen Leute wissen nicht
mehr, womit sie die Zeit totschlagen sollen. Eine Welt ist das, M’sieur ! Neulich, auf der Straße, wissen Sie, was ich da
gesehen habe? Einen Knirps von kaum zehn, zwölf Jahren schrieb sich die Nummern der vorbeifahrenden Autos auf. So klein und schon ‘n Flic !“
    Ich versuchte einen Scherz:
    „Und die Nummer auf meinem
Schein war dieselbe wie die eines gestohlenen Wagens, hm?“
    Wieder zuckte er die Achseln.
    „Der kontrolliert jetzt schon
drei Tage jeden Schein. Seit dem Bankraub.“
    „Welchem Bankraub?“
    „Gegenüber, im Comptoir de Crédit .“
    Er zeigte durch die Scheibe auf
das Kreditinstitut, Ecke Rue Alain-Chartier und Vaugirard .
Zwischen einem Schießstand und einer Lotteriebude konnte man den Eingang sehen,
hinter den Köpfen der Leute, die auf die Linie 62 warteten. Jetzt
kapierte ich auch das, was die vier an der Theke gefaselt hatten.
    „ Habense nichts davon gehört, M’sieur ?“ fragte mich der
Kellner.
    „Ach, wissen Sie“, sagte ich,
„‘n Bankraub gehört doch zum Alltag. Außerdem bin ich nicht aus dem Viertel.“
    „Ich auch nicht. Arbeite nur
hier. Die Leute aus dem Viertel glauben, daß es Leute aus dem Viertel waren.
Sie hatten Masken vorm Gesicht, aber man munkelt, es waren welche aus dem
Viertel...“
    Lang und breit legte er mir das
Pro und Contra für diese Hypothese auseinander.
    „Na ja, bei der Beute... zehn
oder zwölf Millionen sollen’s sein... Nicht schlecht!
Manche sagen sogar fünfzehn...“
    „Manchen kommt’s eben auf zwei
oder drei Milliönchen nicht an.“
    Zu denen gehörte mein
Gesprächspartner offensichtlich nicht. Er hielt den Moment für gekommen, das
Trinkgeld von der Untertasse in seine Tasche zu schütten.
    „Na ja, also bei der Beute
waren auch Fünf- und Zehntausender, deren Nummern der Kassierer notiert hatte.
Warum, weiß ich nicht, hat’s eben notiert. Bei Banken hab ich noch nie
durchgeblickt. Der Kassierer ist Stammgast hier. M’sieur Georges heißt er. Mittags und abends kommt er regelmäßig her. M’sieur Georges also hat dem da drüben die Liste gegeben,
und immer, wenn einer mit einem Fünfer oder Zehner bezahlt, zack! Laß mal
sehen! Wissense jetzt, wie der Hase läuft? Sind die
Gangster tatsächlich aus dem Viertel, geben sie auch das geklaute Geld hier
aus! Raffiniert, was? Zum Totlachen. Aber soll er ruhig, wenn’s ihm Spaß
macht...“
    „Sicher. Besser als seine Zeit
im Café zu vertrödeln.“
    „Übrigens ist mir das
scheißegal. Trotzdem, das ist doch keine Art. Was sollen denn die Gäste sagen?
Einige sehen wir nie wieder. Das sag ich Ihnen.“
    „Ist das der Sohn vom patron ?“
    „Nein, vom Geschäftsführer. M’sieur Rivalet ist mit seiner
Familie zu Verwandten gefahren, nach Saint- Affrique .“
    „Hat’s Tote gegeben? Bei dem
Überfall, meine ich...“
    „Ein junger Angestellter. Hat
aufgemuckt, da haben sie ihn abgeknallt. Einige sagen, er hat gar nicht aufgemuckt.
Aber egal, sie haben ihn abgeknallt.“
    Jetzt hatte er das Gefühl,
genug für sein Geld geredet zu haben. Er ließ mich mit meiner Pfeife alleine.
Ich rauchte sie zu Ende und betrachtete dabei den Comptoir de Crédit . Dann klopfte ich die Asche aus und sah auf
meine Uhr. Gleich drei. Fünfzehn Uhr, vornehm ausgedrückt. Wie bei der
Eisenbahn und im Radio. Madame Joséphine eröffnete gerade ihre Sprechstunde.
Aber mir würde sie eine kleine Privataudienz bestimmt nicht abschlagen,
zwischen einer Concierge und einem Dienstmädchen.
    Ich ging zu meinem Wagen.

4
     
    Ich weiß nicht, wer Dr. Finlay
war. Aber zu seinen Lebzeiten muß er als Arzt Aufmerksamkeit erregt haben.
Sonst hätte man nicht die ehemalige Rue des Usines hinter dem Vélodrome d’Hiver nach ihm benannt.
    Dort jedenfalls wohnte die
Frau, zu der ich Demessy geschickt hatte. Ecke Rue Nélaton , vierte Etage, mit Blick (wenn man sich etwas Mühe
gab!) auf die oberirdische Metrostrecke und den oberen Teil des Eiffelturms.
Ich war zwei- oder dreimal dort gewesen.
    Auf mein Klingeln öffnete mir
eine Frau, die mit den Augen zwinkerte wie eine alte Eule. Sah aus wie ‘ne
ausgediente Puffmutter mit ‘nem Schuß Gouvernante.
    Ein hübsches Paar,
Dienstmädchen und Hausherrin!
    „Ich hab ‘ne schwere
Vergangenheit hinter mir, keine rosige Zukunft vor mir und genieße die
Gegenwart“, sagte ich.
    Die Frau öffnete einen

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