Ein Clochard mit schlechten Karten
gebrauchen
„Versteh ich vollkommen, Jo.
Aber sagen Sie... Abgesehen davon, daß Sie sich einig geworden sind... Sah er
entschlossen aus oder eher... schwankend?“
Sie verzog den Mund.
„Ach, wissen Sie, mein Lieber
„Ja, ich weiß“, lachte ich,
„Sie können nicht hellsehen!“
„Nein“, sagte sie und lächelte
gezwungen über meinen Scherz.
Ihr mußte das Ganze ziemlich
schleierhaft vorkommen (womit sie nicht unrecht hatte). Nach ein paar
belanglosen Worten verabschiedete ich mich. Sie begleitete mich durch die Küche
hinaus.
Im Treppenhaus begegnete mir
eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters. Sah ziemlich gut betucht aus, so
ein Madame- Jordonne -Verschnitt. Auf dem Treppenabsatz
darunter blieb ich stehen und spitzte die Ohren. Nur so, ohne einen besonderen
Grund, aus Spaß. Wollte wissen, ob eine so respektable Person eine Mieterin war
oder... eine Klientin von Jo. Es wurde geklingelt. Eine Tür wurde geöffnet.
Jemand sagte: „Guten Tag, Madame“. Unverkennbar die ausgediente Gouvernante.
Die Tür wurde wieder geschlossen. Ich ging weiter nach unten. Verdammte
Joséphine! Ich hatte immer geglaubt, ihre Kundschaft würde sich aus Köchinnen
und Putzfrauen zusammensetzen, aus unzufriedenen Dienstmädchen und Concierges,
die wissen wollen, was in den Sternen steht. Na ja, ich hatte mich getäuscht. Um so besser für sie und ihr
Bankkonto. Allerdings würde mir diese Feststellung bei der Suche nach Demessy auch nicht weiterhelfen!
5
Über das Eisenbahngleis am
Seineufer in Javel rollte langsam ein Plattform-Zug
mit 2-CV-Karossen. Die keuchende Lokomotive schickte dicken weißen Dampf in den
wolkenverhangenen Himmel. Ein unsichtbarer Schleppkahn auf der Seine stieß
einen Klagelaut der Sympathie für die asthmatische Lok aus. Durch die
Windschutzscheibe mit den tanzenden Scheibenwischern sah ich das Bürohaus der
großen Automobilfirma. Vier Etagen mit breiten Fenstern und oben drauf der Name
in riesigen blauen Buchstaben: CITROËN. Auf beiden Seiten der Fahrbahn nichts
als parkende Wagen, ausschließlich 2CV oder DS. Mein Dugat 12 wirkte in dieser Umgebung wie ein ungebetener Gast. Kurz vor der Rue Leblanc
fand ich einen freien Parkplatz zwischen einer Dauphine und einer Fregatte, die
offenbar in provokatorischer Absicht hier geparkt worden waren. Hier fühlte
sich mein Dugat nicht ganz so einsam.
Ich stieg aus und ging zu einem
großen Tor, aus dem ein Gleis zur Eisenbahnlinie führte. Als ich an dem Schild
mit der Aufschrift „Zutritt des Fabrikgeländes für Unbefugte verboten“
vorbeiging, sprang ein Wächter in Uniform aus seinem Glaskasten und fragte
mich, was ich wolle.
„ Rieussec “,
antwortete ich, nachdem ich in meine Notizen gesehen hatte. „Vorarbeiter in
Halle 15. Kann ich mit ihm sprechen?“
„Worum geht’s?“
„Um einen, der unter ihm
arbeitet. Demessy . Ich brauch ein paar Auskünfte über
ihn...“
Ich hielt dem Portier meinen
Ausweis unter die Nase.
„Ich arbeite für einen Notar. Demessy hat geerbt, aber er ist nicht aufzufinden. Hat
sozusagen Heim und Herd verlassen.“
Ich lieferte ihm genügend
Erklärungen, daß er zwar nichts kapierte, aber gezwungen war, mich entweder
achtkantig rauszuschmeißen, um mich loszuwerden, oder aber meiner Bitte
nachzugeben. Trotz der Uniform war der Kerl nicht übel.
„Hören Sie“, sagte er, „ich
will’s versuchen, aber ob er gleich kommt, einfach so, kann ich nicht
garantieren. Hier wird nämlich gearbeitet, verstehen Sie?“
Zum Beweis gähnte er. Dann
verschwand er wieder in seinem Kabuff. Mich ließ er draußen im feuchten Wind
stehen. Arbeiter in Overalls gingen über den Hof. Aus der großen Fabrikhalle
drang ein monotones Surren. Mir stieg ein Geruch von Metall und Öl in die Nase.
Der Portier telefonierte. Nach einer Weile legte er den Hörer auf die Gabel und
kam raus.
„Er kommt“, sagte er. „Aber der
Spaß geht natürlich nicht immer... Dann hat dieser Demessy also geerbt?“
„Ja, ja. Ein entfernter
Verwandter von ihm ist gestorben. Hat wahrscheinlich noch nie was von ihm
gehört.“
„Und gerade dann haut er ab?“
„Sieht so aus. Kennen Sie ihn?“
„Sind mehrere Tausend hier.
Wenn man die alle kennen soll... Aber von ihm hab ich neulich gehört, vor zwei
oder drei Tagen. Seine Frau hat nach ihm gefragt.“
„Ich weiß“, sagte ich.
Durch eine Eisentür in einer
roten Backsteinmauer trat ein Mann mit weißem Kittel. Etwa vierzig, der
Scheitel wurde so langsam breiter.
„
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