Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
Namen fällt, die hier in Great Yarmouth einen Gastvortrag halten soll. Außerdem hat sie ein Buch geschrieben, das sie signieren will, Stoffwelten . Ich erinnere mich nicht, ob sie dem Kurs davon erzählt hat.
Einige meiner Schüler trudeln im Café ein. Ich halte mich bedeckt, denn immerhin sind sie alt genug, um sich ein Mittagessen zu kaufen und es ohne meine Hilfe zu verspeisen.
Nach der Mittagspause treffen wir uns wieder mit Nicole unter den Sonnensegeln. Bevor ich mir jedoch die Zeichnungen anschaue, gehe ich die Kursliste durch und zähle kurz die Anwesenden durch. Amy fehlt.
»Weiß jemand, wo Amy abgeblieben ist?«, frage ich.
Gemurmel wird laut. Die einen sagen etwas davon, ihr ging’s nicht so gut, andere sprechen von einem Tattoo-Salon. Warum habe ich mir vorher bloß nicht die Mobilnummer von allen notiert?
»Ich werde eine Lautsprecheransage machen«, erklärt Nicole. Ich nicke, obwohl ich vermute, dass Amy längst schon nicht mehr im Museum ist. Doch zuerst müssen wir die Formalitäten über uns ergehen lassen.
Schließlich überrede ich Leon, Amy anzurufen.
Dann schnappe ich mir sein Handy. »Kann grad nicht sprechen, das Tätowieren tut ein bisschen weh«, erwidert sie freimütig.
»In welchem Tattoo-Studio bist du? Du solltest dich im Museum aufhalten! Entweder verrätst du mir jetzt, wo du bist, oder ich rufe deine Mutter an, damit sie dich abholen kann!«, erkläre ich mit fester Stimme. »Du hast die Wahl.«
»Ich bin im Golden Dragon«, antwortet sie kleinlaut.
»Im Golden Dragon«, wiederhole ich.
»Das ist unten im Fleet«, erklärt Nicole. »Sie müssen hier um die Ecke gehen, dann werden Sie es leicht finden. Das Fleet sieht genauso aus wie in der lebensechten Nachbildung im Museum, nur dass dort mittlerweile keine Fischer und Segelmacher mehr wohnen, sondern Tätowierer und Billigläden ihre Türen geöffnet haben.«
»Jim, mach mit der Nachmittagsveranstaltung, was immer du für richtig hältst«, erkläre ich.
»Aye, aye, Laura«, antwortet Jim und tut, als würde er salutieren. »Ich werde die Meute in Schach halten.«
Ich eile die kleinen, von Reihenhäusern gesäumten Straßen hinunter, die mich seltsamerweise an die Kasbah-Festungsanlage in Tanger, Marokko, erinnern, und frage mich unwillkürlich, in welchem Haus Lorina Bulwer wohl gelebt haben mag, bevor man sie ins Arbeitshaus von Great Yarmouth gesteckt hat. Meiner Meinung nach sollte an diesem Haus eine blaue Plakette hängen mit der Aufschrift: Hier lebte Lorina Bulwer, subversive Näherin.
Der Golden Dragon wirkt von außen mit den halb abgerissenen Postern von Schlangen-, Meerjungfrauen- und Blumen-Tattoos, die ans Schaufenster geklebt wurden, schäbig und heruntergekommen. Mir gefällt es nicht, dass ich offensichtlich alt werde und mich vor allem fürchte, was außerhalb meines Wohlfühlbereichs liegt. Diese ganze Tattoo-Generation ist an mir vorübergegangen. Mittlerweile gibt jedoch jeder zweite Schüler bei seinem Berufswunsch »Tattookünstler« an. Zu meiner Zeit wollten wir alle noch Plattencover entwerfen. Ich reiße mich zusammen und betrete den Laden.
»Wir sind fast fertig«, ruft Amy, die den Träger ihres BHs heruntergezogen hat, damit der junge Mann ungehindert an ihrer Schulter arbeiten kann.
»Ist das deine Mum?«, erkundigt sich der Mann mit dem raspelkurzen Haar, dessen gesamter Körper flächendeckend mit Tätowierungen bedeckt ist.
»Nein, aber ich wünschte, sie wäre es«, erwidert Amy. Einen Moment lang habe ich das Gefühl, dass es zwischen uns eine besondere Verbindung gibt. Nach den wenigen Dingen, die sie über ihr Zuhause berichtet hat – das fehlende Interesse ihrer Eltern an allem, was sie tut, die Tatsache, dass sie die meiste Zeit auf sich allein gestellt ist – komme ich zu dem Schluss, dass es wirklich an ein Wunder grenzt, dass sie im College so gute Noten bekommt.
Amy und ich bleiben einen Augenblick lang vor der Ausstellung stehen. Von drinnen dringt Lärm zu uns heraus, der sich nach Gesang und lautem Geschrei anhört. Was um alles in der Welt geht da vor sich?
»Was machen die da drinnen?«, fragt Amy mich verwirrt.
»Sollen wir mal nachsehen?« Als wir hineingehen, platzen wir in eine Szene hinein, die nach High School Musical aussieht.
Nicole steht im hinteren Teil des Raumes. Sie nickt und lächelt. Auf einer improvisierten Bühne spielen die Schüler gerade eine Szene, in der sie vorgeben, gefeierte Künstler zu sein. Sie tragen recht bizarre, bunt
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