Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
den Punkt zurückzukommen: Chris würde meine Augenfarbe kennen. Ihm ist auch immer aufgefallen, was ich getragen habe, stelle ich rückblickend fest.
»Es wird Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen, meine Damen«, ruft Hannelore.
Das ist der geeignete Moment, um mein Anliegen vorzubringen. »Hannelore, ich muss heute früher gehen. Adis Mum hängt ziemlich in den Seilen.«
»Sie hängt in den Seilen? Den Ausdruck kenne ich noch nicht. Was heißt das?«
»Ihr geht es nicht so gut.«
Ich sitze im Auto und denke über den Scheideweg nach, der im wahrsten Sinne des Wortes vor mir liegt. Biege ich nach links ab, um nach Norwich zu fahren und dort mit Chris über Nähprojekte zu diskutieren? Oder biege ich nach rechts ab und fahre zu Pam, um dort die gute Schwiegertochter zu spielen?
Daisy kommt aus der Spielgruppe gelaufen. Wie es scheint, hat sie nun mehr Energie als heute Morgen, als sie hergekommen ist. Was geben sie den Kindern hier bloß zu essen? Plötzlich fällt mir auf, dass sie Turnschuhe trägt. Sie hat brandneue Turnschuhe an den Füßen, die ich ihr für die Spielgruppe nicht angezogen habe.
»Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch«, erklärt mir Linda, die Leiterin der Spielgruppe. »Ich habe die Turnschuhe gestern gesehen, als ich meinem Sohn neue Schuhe gekauft habe. Stellen Sie sich mal vor, er ist mit nur einem Schuh aus der Schule nachhause gekommen, dabei ist er schon vierzehn!«, schnattert sie. »Daisy kann die Schuhe so lange behalten, wie sie möchte«, fährt sie fort. Ich bin zu perplex, um auch nur irgendetwas zu verstehen, und gehe wortlos.
»Daisy? Warum hat dir Linda Turnschuhe gekauft? Daddy hat gesagt, dass du neue, passende Sandalen von John Lewis anhattest. Die, auf die ich diese hübschen Sonnenblumen aufgenäht habe.«
»Linda hat gesagt, die Sandalen sind zu groß für mich. Außerdem sind die Blumen nicht praktisch, weil sie immer nass werden, wenn wir nach draußen spielen gehen.«
Ich hasse Turnschuhe. Nur über meine Leiche würde ich welche anziehen, außerdem bekommt man darin Schweißfüße. Aber was soll ich jetzt tun? Soll ich Daisy den Sommer über in diesen Turnschuhen zum Kindergarten schicken und sie zurückgeben, wenn sie herausgewachsen ist?
Wir gehen nachhause, wo es aussieht, als hätten Einbrecher alles durchwühlt. Beim Gedanken an Einbrecher bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil Adi und ich ziemlich kindisch über den Einbruch bei seinen Eltern gelacht haben. Aber wenn ich ein Nähprojekt vor mir habe, dann bleibt einfach nicht genügend Zeit, um aufzuräumen, abzuwaschen und sauberzumachen.
Ich mache mich an die letzten Feinheiten von Kurts Krawatten. Manchmal, wenn ich meine Fantasie spielen lasse, vergleiche ich mich mit den Amishfrauen, die als Siedler in Nordamerika Pionierarbeit geleistet und selbst unter schwierigsten Umständen hübsche Quilts hergestellt haben. Alle beschweren sich über die Wirtschaftskrise, lamentieren, wie man mit dem Geld über die Runden kommen soll und wie es bloß wieder aufwärtsgehen kann. Vor diesem Hintergrund komme ich mir sehr tugendhaft vor und empfinde meine neue Geschäftsidee fast als eine Art Kriegsanstrengung.
Daisy kommt aus dem Garten nach drinnen gelaufen.
»Die sehen ja aus wie Elmar, der Elefant!«
»Das sind Krawatten, keine Elefanten«, erwidere ich ein wenig eingeschnappt. Sowohl Lilly als auch Daisy haben den buntgemusterten Elefanten geliebt und früher die verschiedenen Farben benannt, während ich ihnen die Geschichten vorgelesen habe, in denen nie viel passierte.
»Aber Mummy, die Farben sehen aus wie Edelsteine, wie Elmars Farbflecken!«
»Da hast du Recht, Daisy, gut beobachtet.« Manchmal staune ich wirklich, dass eine fast Vierjährige weitaus interessantere Beschreibungen benutzt als meine Schüler in ihren Aufsätzen.
»Weißt du, Daisy, Nähen ist eine ziemlich zeitaufwändige Sache«, gestehe ich und betrachte die beiden Krawatten. »Gott sei Dank helfen mir die Frauen aus meinem Nähkurs bei der Vorbereitung des Mittsommermarktes.«
Danach stelle ich Schnittmuster her, die ich zusammen mit Stoffresten in kleine Tüten packe. Diese wiederum beschrifte ich mit ›René‹, ›Joyce‹ und ›Wendy‹ – jenen Namen, die meist auf Frauen in einem gewissen Alter hinweisen. Außerdem mache ich noch Tüten für Juneko und Padmaloka fertig. Dabei traue ich mich jedoch nicht, ›Chris‹ zu schreiben – dabei wäre es höchste Zeit, dass auch er sich einmal nützlich
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