Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
nichts. Vielmehr liebe ich es, besondere Stücke ausfindig zu machen. Kleider oder Röcke, die eine ganze Geschichte erzählen können – oder vielmehr die Geschichte der Besitzerin .
Ich greife nach einem Stück Kleiderstoff mit einem erdbeerroten Gugelhupfdruck. Dieser ist meinem Vorhangstoff recht ähnlich; es ist ein gleichartiges Motiv, das wie von Hand gezeichnet aussieht, und verfügt über die gleiche Farbkombination. Der einzige Unterschied zu dem Vorhang ist, dass die Gugelhupfe kleiner sind, unauffälliger – sie sind nicht »lebensgroß«, was möglicherweise der ausschlaggebende Grund war, warum Adi die Vorhänge nicht ausstehen konnte.
Wie Jim im College erinnere auch ich mich noch sehr gut daran, wie ich früher Pudding in Gugelhupfform gegessen habe, meistens in der Schule beim Mittagessen. Mum hatte sogar eine Küchenschürze, auf der Gugelhupfe und Kannen mit selbst gemachter Limonade aufgedruckt waren. Wie gern würde ich diese Schürze noch einmal sehen! Ich würde alles dafür geben, wenn Mum jetzt hier sein könnte. Man ist nie zu alt, um seine Mum zu brauchen.
Mit dem Gugelhupfstoff wische ich mir über die Augen und falte das, was von meinen Vintagekleidern übriggeblieben ist, zusammen und packe es in einen Koffer. Ich packe meine Vergangenheit zusammen. Dabei kommen Erinnerungen an eine gut gemeinte Weiterbildung, die ich kürzlich absolviert habe, hoch. Wir mussten uns in Flüchtlinge und Asylbewerber hineinversetzen. Die Aufgabe bestand darin, eine Liste anzufertigen, was man alles in einen Koffer packen würde, wenn einem eine halbe Stunde Zeit zum Packen bliebe. Ich kann nicht fassen, wie ich gelacht und unangemessene Witze gemacht habe, à la »Wie viele Handtaschen passen eigentlich in einen Koffer?«. Jetzt allerdings sind mir abgesehen von ein paar einzelnen Kleidern nur noch Stofffetzen geblieben.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mehr oder weniger per Zufall mein erstes Vintagekleid im Alter von achtzehn Jahren gekauft habe – dem Jahr, als ich hinsichtlich meines Kleidergeschmacks erwachsen geworden bin. Ein Mädchen namens Wanda, das im Studentenwohnheim gegenüber von mir wohnte, hat mich zu einem Einkaufsbummel mitgenommen. Komisch, ich habe jahrelang nicht mehr an Wanda gedacht. Wo sie jetzt wohl ist? Trägt sie immer noch Kleider aus dem Secondhandladen, oder hat sie ihren Geschmack geändert? Sie war immer völlig anders gekleidet als wir alle. Jeans hat sie nie getragen. Vielmehr hat sich Wanda wie eine Lady aus der Edwardischen Epoche gekleidet und höchstens ein wenig elfenbeinblasse Haut am Knöchel gezeigt. Ihr heller Teint passte hervorragend zu den blassen, grazilen und mit Spitze versehenen Stoffen, die sie trug. Wanda hat mich schnell wieder aus dem Secondhandladen geschoben, als seien wir auf einer Mission und liefen Gefahr, dabei enttarnt zu werden.
Während der Busfahrt nachhause habe ich mir voller Stolz mein Schnäppchen umgeschlungen – einen Schal mit aufgedruckten Ozeandampfern. Mir gefiel nicht nur, wie sich die Seide anfühlte, sondern auch das blaue und dunkelrot gestreifte Muster mit den Segeln. Wanda erklärte mir, dass ich ein echtes Sammlerstück ergattert hätte – einen Schal von Ascher. »Ein Wunder der Nachkriegsmode«, nannte sie es. »Laura, der Schal ist weitaus mehr wert als die zwei Pfund, die du dafür bezahlt hast.« Was mir aber relativ egal war, da mir einfach nur der Schal an sich gefiel.
Und dann sind da noch Mums Kleider, die ich nach ihrem Tod aufbewahrt habe. Weder habe ich es übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen, noch konnte ich sie weggeben. Lange Zeit habe ich es nicht einmal fertiggebracht, sie selbst anzuziehen. Die Kleider befanden sich quasi im Niemandsland. Wanda hätte für die bunten psychedelischen Oberteile aus Nylon und Polyester oder für die mit folkloristischen Stickereien verzierten Kaftane sicherlich kein Verständnis gehabt. Diese stammten aus den Sechziger- und Siebzigerjahren; damit waren sie viel zu neu und – was in ihren Augen das Schlimmste daran war – aus synthetischen Fasern.
Doch nach ein paar Jahren wurden Mums Kleider von ihrem Trauerflor befreit und fanden ihren Weg in meinen Kleiderschrank. So, wie andere Menschen Schmuck oder Gemälde vermacht bekommen, habe ich eine Garderobe voller Kleider geerbt.
Mit der Hand streiche ich über das Polyester. Dabei habe ich immer noch Mum in ihrer grün-lilafarbenen Paisleytunika vor Augen. Doch von dieser ist nun nur noch ein
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