Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
zugeben wollen, dass ich dann den Mädchen neue Socken kaufe. Aber die sind eben so günstig. Es wäre viel teurer, sich Stopfnadeln und entsprechendes Garn zu kaufen.
Ich beobachte Hannelore. Sie nimmt sich ein Stück Kattun und näht geschickt eine perfekte gerade Linie. »Dies nennt man Vorstich. Das ist der erste Schritt, mal sehen, wie Sie sich dabei anstellen. Wenn Sie diesen beherrschen, gehen wir über zum umschlungenen Vorstich, Rückstich, Spaltstich, Kreuzstich …«
»Vorsicht, Sie verjagen sie sonst noch«, lacht Joyce, der mein besorgter Gesichtsausdruck nicht entgangen zu sein scheint. Hannelore lässt schließlich ihr Beispiel auf meinem Tisch liegen und pendelt zwischen den anderen Kursteilnehmern umher.
Ich habe Probleme, Hannelores Beispiel nachzumachen. Wie kann jemand nur eine so gerade Linie von Hand nähen und dabei die Stiche in exakt gleich langen Abständen setzen? Schon habe ich größte Lust zu rebellieren und die Stiche in verschiedenen Abständen zu nähen. Da ich eigentlich Linkshänderin bin, kommt es mir vor, als würde ich gleichzeitig kopfüber und von hinten nach vorne arbeiten. Mittlerweile frage ich mich ernsthaft, warum all diese begabten, fähigen Näherinnen, die alle ihre eigenen Materialien mitbringen, überhaupt herkommen. Sie wissen doch schon alles! Ich bin mir absolut sicher, dass sie alles, was sie gerade machen, auch zuhause tun könnten.
»Wir nähen besser, wenn wir hier alle zusammen sind«, erklärt mir René, als könne sie meine Gedanken lesen. Mit einer Hand streicht sie sich eine Haarsträhne ihres akkurat geschnittenen braunen Pagenkopfes aus den Augen. »Wir sind quasi ein Kollektiv – etwa wie die Bienen meines Ehemannes.«
»Bienen?«
»Er ist Imker. Seit er vorzeitig in den Ruhestand gegangen ist und sich die Bienen gekauft hat, bekomme ich ihn kaum noch zu Gesicht«, lacht sie.
»Und das ist auch gut so«, wirft Joyce ein. »Sie reagiert höchst allergisch auf Bienen.«
Immer wieder muss ich Stücke, die ich bereits genäht habe, wieder auftrennen. Sofort fühle ich mich in die Zeit zurückversetzt, als ich als ungeschicktes, unbeholfenes Kind im Kunstraum saß, mit den Rechtshänderscheren nicht richtig ausschneiden konnte und Probleme hatte mit der Nähmaschine, weil eine für Linkshänder geeignete Maschine noch erst erfunden werden muss. Obwohl mir mittlerweile vielleicht schon jemand das Gegenteil beweisen könnte. Stricken war auch nicht besser, bis Mum mir schließlich das Stricken beibrachte, indem ich ihr im Spiegel dabei zusah.
»Kommen Sie, und setzen Sie sich hier zu mir ans Fenster«, ruft mich Hannelore. »Schauen Sie auf die Spiegelung im Fenster, und tun Sie das, was ich Ihnen zeige«, ordnet sie an.
Im ersten Augenblick läuft mir angesichts dieser zufälligen Übereinstimmung ein Schauer über den Rücken. Es ist fast, als sei Mum hier, die mich beobachtet und anleitet.
Es wirkt ein wenig seltsam, wie diese makellos gekleidete Frau auf einem staubigen schwarzen Stapelstuhl aus Plastik sitzt. Ich beobachte genau, wie Hannelores flinke Finger souverän drauflosarbeiten.
»Wissen Sie, es ist wissenschaftlich bewiesen, dass es eine Verbindung zwischen der Arbeit mit den Fingerspitzen und der Aktivierung bestimmter Hirnbereiche gibt. Wir brauchen hier kein Sudoku, um uns mental fit zu halten. Und am Ende haben Sie auch noch ein Ergebnis, das Sie vorweisen können. Es ist doch allemal besser, sich mit Handarbeiten zu beschäftigen, als auf ein Stück Zeitung Zahlen zu kritzeln.«
Ich nicke. »Wie sind Sie zum Nähen gekommen?«
Hannelore stößt ein kehliges Lachen aus, woraufhin sich alle Blicke auf uns richten. Doch bald schon nähen die Damen alle wieder weiter.
»Ich musste meine Kleider selbst nähen. Meine Veritas -Nähmaschine war weltweit das Beste, was es auf dem Markt zu kaufen gab. Die Ostdeutschen verfügten über eigene Modeschöpfer, die einige schöne Designs entworfen haben. Eine Zeit lang ging sogar das Gerücht, ein paar der Entwürfe seien an ein C&A-Kaufhaus in Westberlin verkauft worden. Man war immer sehr darauf bedacht, an Devisen heranzukommen. Ich spielte mit dem Gedanken, einen Kurs am Modeinstitut zu belegen, doch ich hätte die Vorstellung nicht ertragen können, etwas zu entwerfen, das ich niemals so würde realisieren können, wie ich es geplant hatte. Stoffe und Kurzwaren waren einfach zu teuer.«
Eine Weile nähe ich schweigend weiter. All die Geschichten über den Kommunismus erinnern mich an
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