Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
die Hörer ab Mitternacht anrufen und über ihre Probleme sprechen. Diese Sendung habe ich mir stets gerne angehört – dabei habe ich mich immer so erwachsen gefühlt.
Dann, ohne es zu merken, höre ich gar nicht mehr auf das Radio, sondern bin völlig in das Zuschneiden der Stoffe und das Nähen vertieft. Dieses Schritt-für-Schritt-Vorgehen habe ich aufgegeben, und mittlerweile sieht mein erster Versuch schon beinahe wie ein Huhn aus. Ob ich meinen Schülern wohl jemals gestehen werde, dass ich eine Heuchlerin bin? Weder habe ich Pläne, noch arbeite ich nach einem echten Entwurf, und einen Farbtest habe ich schon gar nicht gemacht. Ich stürze mich auf die Arbeit am letzten Teilstück. Immer nur das tun, was ich sage, nicht das, was ich selbst tue – tja, so bin ich wohl! Angeleitet von den Farben und Mustern lasse ich mich zu einer huhnähnlichen Form treiben. Mir gefällt es, wenn das Material wichtiger ist als meine Ideen. Das nenne ich doch mal echte Freiheit – zumindest für einen Künstler.
Ob wohl Meditation so funktioniert? Mal eine Pause von seinem eigenen Ich zu nehmen, scheint mir die beste Art zu sein, um sich zu erholen. Ich habe sage und schreibe zwei Stunden lang mit keinem einzigen Gedanken an den Unterrichtsbesuch im Town and Country College oder an die Nachbesprechung gedacht, die morgen für mich ansteht. Warum tue ich mir das eigentlich alles an? Dabei hatte ich doch einmal so sehr gehofft, eine echte – soll heißen erfolgreiche – Designerin zu werden und nicht bloß jemand, der sich hobbymäßig damit beschäftigt.
Vielleicht könnte ich private Patchwork-Meditationskurse anbieten? Das könnte in Prominentenkreisen der letzte Schrei werden. Strickgruppen gibt es schon zur Genüge, und selbst berühmte Schauspielerinnen stricken sich am Filmset die Finger wund. Meine Idee wäre, dass Frauen sich überall mit Patchworkarbeiten ablenken können. Dazu käme noch, dass es ökologisch sinnvoll wäre, da Stoffe wiederverwertet, quasi recycelt würden. Es muss doch irgendetwas Sinnvolleres geben, was ich tun kann! Zu unterrichten ist völlig ohne Sinn und Bedeutung, wenn man lediglich kategorisch Dinge abhakt. Bald schon lenkt mich ein praktisches Problem von meinem Selbstmitleid ab. Das ist gut; diese Tätigkeit bewirkt, dass man sich nicht mehr so sehr auf sich selbst konzentriert.
Was könnte schwer genug sein, um die Hühner damit zu füllen? Mein Blick fällt auf Daisys Sandkasten, doch der nasse Sand scheint mir nicht sonderlich geeignet zu sein.
Draußen auf dem Kies höre ich Schritte. Es wird wahrscheinlich einer der Bauarbeiter sein – ein echter Bauarbeiter, nicht etwa ein Zeltbauer. Doch ich bin im Umgang mit diesen Männern nicht sonderlich gut. Seit wir hierhergezogen sind, habe ich das Vertrauen in viele meiner Fähigkeiten verloren, und dieses unverbindliche Geplauder gehört ebenfalls dazu. Darum verstecke ich mich in letzter Zeit immer häufiger im Wohnwagen.
Jemand klopft an die Tür. Ich finde es immer noch äußerst merkwürdig, hölzerne Lamellentüren in einem Zelt – ich meine natürlich in einer Jurte – zu haben. Ich öffne die Tür.
»Chris!«, rufe ich überrascht. »Woher weißt du …?«, frage ich verwirrt und freue mich, einen Gast begrüßen zu dürfen. Ein Haus ohne Gäste ist kein echtes Zuhause.
»Woher ich weiß, dass du hier bist? Na, ganz Reedby weiß mittlerweile über die Jurte Bescheid. Die Neuigkeiten sind sogar bis zu uns nach Padmaloka vorgedrungen. Darf ich eintreten?«
»Natürlich! Komm herein, aber pass auf deinen Kopf auf.«
Chris steuert geradewegs auf meine Stoffe zu. »Du weißt, dass ich mich während meines Studiums eine Zeit lang mit Textilien beschäftigt habe?«
»Mit Textilien?«
»Du weißt doch, ich war für Visual Studies eingeschrieben. Ich bin ein Tausendsassa auf allen Gebieten, kann aber nichts richtig. Nach dem College habe ich ein Stipendium bekommen, um gestrickte Skulpturen herzustellen.«
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. »An das Stipendium kann ich mich noch erinnern, aber nicht an das, was du gemacht hast. Ich glaube, das war ungefähr die Zeit, als wir den Kontakt zueinander allmählich verloren haben«, lüge ich ihm vor. Natürlich erinnere ich mich noch sehr gut daran, was Chris gemacht hat. Seine Skulptur, die aus gestrickten Kabeln und Leitungen bestand, war sogar in der Glisson Gallery ausgestellt worden. Wir anderen hätten uns ein Bein dafür ausgerissen, dort eine Ausstellung zu
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