Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
einem riesengroßen, roten Stofftuch bedeckt, unter dem sich seltsame Knubbel und Haufen verbergen. Angesichts des üppigen Reichtums, den dieser holzgetäfelte Raum ausstrahlt, würde es mich nicht wundern, wenn sich unter dem Tuch ein Wildschwein mit einem Apfel im Maul befände.
»Hallo, mein Name ist Emma Sinclair. Ich bin eine der Kuratorinnen hier im Studienzentrum. Herzlich willkommen bei uns. Es ehrt uns, heute solch bedeutende Gäste bei uns begrüßen zu dürfen«, erklärt sie und sieht zu Hannelore und Chris hinüber. Was hat Chris eigentlich getan, dass er so viel Lob einheimst?
»Ich muss Sie loben, dass Sie noch nicht unter das Tuch geschaut haben«, fährt die junge Frau fort und lacht nervös. Wie ein Zauberer zieht sie dann das Tischtuch fort.
Ich bin wie hypnotisiert von den sauber und ordentlich zusammengefalteten Kleidungsstücken und präsentierten Accessoires: Badeanzüge (aus dicken elastischen und gesmokten Stoffen), ein Korsett, ein Stück Karton, auf den rote Knöpfe aufgenäht sind, ein Filzhut.
»Sehen Sie sich diese Dinge eingehend an, bevor Sie sich dann einen Gegenstand davon aussuchen. Ich bin gespannt, welche Erinnerungen diese Dinge wachrufen werden.«
»Wahrscheinlich glaubt sie, wir hätten alle Alzheimer«, flüstert René, und zum zweiten Mal heute treffen sich Chris’ und meine Blicke. Gemeinsam müssen wir lachen.
»Nehmen Sie aber bitte nichts vom Tisch!«, fügt die Kuratorin hinzu und lacht nervös auf. »Ich werde Sie jetzt Hannelores fähigen Händen überlassen, weil ich meine Praktikanten betreuen muss.«
Für eine höchst unentschlossene Person, die meist länger die Speisekarte liest, als sie hinterher Zeit für das Essen braucht, habe ich mich überraschenderweise relativ schnell entschieden. Mir ist sofort klar, was ich aussuchen werde. Oder vielleicht hat der Gegenstand sich eher mich ausgesucht? Nach und nach fangen alle an, die Gegenstände über den Tisch zu schieben und sich zu unterhalten. Kurze Zeit später gleicht der Tisch einem Wühltisch im Schlussverkauf.
»Meine Damen, mein Herr!«, ruft Hannelore schließlich. »Möchte irgendjemand vielleicht beginnen, uns seine Wahl zu erklären?«
»Ich fange an«, ruft René und hält einen orange und hellblau gemusterten Badeanzug in die Höhe. »Mum und Tante Joan haben immer solche Badeanzüge getragen, wenn wir zum Strand gefahren sind. Sie sind aber nie ins Meer schwimmen gegangen, das haben immer nur Dad und Onkel Ken getan.«
»Seht euch bloß mal die Stütze für den Busen an«, kichert Joyce, schnappt René den Badeanzug aus der Hand und zieht das beigefarbene Innenfutter heraus. »Solche Badeanzüge werden heutzutage gar nicht mehr hergestellt.« Alle nicken wissend.
Ich will unbedingt die Nächste sein, doch wie meine jugendlichen Schüler will ich nicht allzu streberhaft wirken. Darum lasse ich erst einmal ein paar anderen den Vortritt.
Juneko wählt den Filzhut aus und erzählt von ihrem Großvater, einem sehr schweigsamen Mann, der immer seinen Filzhut getragen hat, wenn er Misosuppe gegessen hat. Die Damen lauschen angestrengt und versuchen, Junekos leise Worte zu hören.
»Hervorragend«, lobt Hannelore. »Wie es scheint, haben Großväter rund um die Welt gern die gleichen Dinge getragen, insbesondere wenn sie Suppe gegessen haben. Sehen Sie, die Weltgeschichte kann anhand dieser Gegenstände erzählt werden. Und die Geschichte von Norwich kann am besten anhand textiler Gegenstände verdeutlicht werden. Vom sechzehnten Jahrhundert an gründete sich der Reichtum Norwichs auf Textilien. Wolle wurde über den Fluss nach Great Yarmouth transportiert und von da aus nach Antwerpen und Brügge verschifft. Fünfzehn Tage später kehrten die Schiffe zurück und waren mit Gewürzen und anderen Luxusgütern beladen.«
»Norwich war die zweitwichtigste Stadt in England«, wirft René ein. »Weber wurden aus Flandern hierher eingeladen und ließen sich in Norfolk nieder.«
Die junge Kuratorin kommt vorbeigelaufen. »Die meisten Ausstellungsstücke hier wurden von Familien gespendet, die von den ›Fremden‹ aus Flandern abstammen.«
»Meine Mutter hat einen echten Norwich-Schal gespendet«, erklärt René. »Ich wünschte, sie hätte ihn mir vererbt, dann wäre ich jetzt um einiges reicher«, lacht sie.
Hannelore beobachtet, wie ich mit dem Karton mit den roten aufgenähten Knöpfen hantiere.
»Laura, vielleicht erzählen Sie uns etwas über Ihren Gegenstand.«
Ich halte den Karton in die
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