Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
Höhe. »Meine Mutter hatte früher immer ganz viele von diesen Kartons. Ich habe sie alle geerbt.« Ich werfe René einen kurzen Blick zu und lächele sie an. »Wir hatten auch ganze Gläser voller Knöpfe; das waren große alte Bonbongläser.« Mir fällt ein, dass man solche Gläser mit Bonbons immer noch bei Phyllis bekommen kann, und stelle fest, dass meine Stimme zu zittern beginnt. Mit Tränen, die mir über das Gesicht laufen, fahre ich fort. »Ich habe die Knöpfe immer auf den kalten Küchenboden ausgekippt und aus ihnen Tiere gebastelt.«
Bevor ich mich versehe, versammeln sich die Damen alle um mich herum. Ich fühle mich schrecklich verlegen und entblößt.
»Vielen Dank, Laura. Okay, meine Damen, jetzt sollten wir uns in Gruppen aufteilen und in die Bibliothek hinübergehen«, ergreift Hannelore wieder das Wort und geleitet die anderen dankenswerterweise weiter. René erhebt sich von ihrem Platz, drückt mir mitfühlend den Arm und folgt dann den anderen.
Chris kommt zu mir herüber und setzt sich neben mich. Auch in seinen blauen Augen glänzen Tränen.
»Du hast gar nichts zu den Gegenständen gesagt«, werfe ich ihm leicht anklagend vor.
»Dazu gab es nicht viel zu sagen«, erwidert Chris. »Du weißt doch, es gab nur meinen Dad und meine zwei Brüder, lange bevor man überhaupt von alleinerziehenden Vätern gehört hat. Die meisten Dinge waren einfach nicht Teil meiner Vergangenheit. Hätte ich das Hannelore und den alten Damen hier erzählen müssen, hätte ich Rotz und Wasser geheult.« Er streicht mir über den Arm.
»Warum bist du in Wirklichkeit hier?«, frage ich ihn.
»Die Textilkunst hat es sehr gut mit mir gemeint. Darum hat Emma«, sein Blick schweift kurz zum Büro, »auch ein Auge auf mich geworfen. Ich habe mit der Ausstellung meiner Installationen ordentlich Geld verdient. Diese waren eine Mischung aus Skulpturen und Textilien. Mein Vater hat seinen Golfkumpels immer erklärt, dass sein missratener Sohn seine mutterlose Vergangenheit nachholen müsse. Hast du mich denn nicht mal gegoogelt?«, fragt er mich verwundert.
»Nein, habe ich nicht«, erwidere ich und fühle mich plötzlich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. Ich hatte schon ganz vergessen, für wie wichtig sich Chris schon damals zu Studienzeiten gehalten hat.
»Aber ich bin nicht mehr derselbe Chris wie früher«, fährt er fort. »Mittlerweile konzentriere ich mich mehr auf die Bedeutung von Gegenständen. Aber jetzt lass uns in die Bibliothek gehen. Es wird dir dort sehr gefallen«, erklärt er, nimmt meine Hand und führt mich in den nächsten Raum.
Bevor irgendwer etwas bemerkt, ziehe ich meine Hand weg und nehme dort an dem runden Holztisch Platz. Chris überfliegt die Bücherregale, während ich durch einen Katalog von Freemans blättere. Einige der älteren Ausgaben haben kolorierte Cover. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mir in meiner Kindheit stundenlang diese Kataloge angeschaut habe. Wir wohnten am Rande eines kleinen Marktstädtchens, wo es nur wenige Geschäfte gab, die für ein achtjähriges Mädchen interessant gewesen wären. Man kannte meine Mutter beim Fleischer, Bäcker, Eisenhändler, Kurzwarenhändler und im Wollladen. Aber da es im Umkreis von vielen Meilen kein einziges Kleidergeschäft gab, waren Kataloge meine heimliche Leidenschaft. Meine Wunschlisten bestanden stets aus Kleidern und Spielzeug (aus dem Winterkatalog – mit einem Weihnachtsgeschenke-Spezial) sowie Spielzeugen für den Garten (die Sommerausgabe). Mein besonderes Augenmerk galt allerdings den Wäscheseiten. Diese haben mich gleichermaßen fasziniert wie verängstigt: Sie haben mir gezeigt, wie es sein würde, eine echte Frau zu sein. Dieses Zimmer hier ist keine Bibliothek, sondern eine Zeitmaschine!
Chris kommt zu mir herübergeschlendert und setzt sich neben mich. »Da schließt sich der Kreis«, stelle ich fest. »Katalogware ist wieder in Mode. Viele der Mütter in Ealing haben Kleidung für die gesamte Familie in gehobenen Onlinekatalogen gekauft. Jetzt gibt es sogar einen Annika -Katalog aus Schweden. Der ist auf wunderschönem Hochglanzpapier gedruckt, und die Auswahl ist gar nicht mal groß, doch die einzelnen Kleidungsstücke verschlingen ein ganzes Monatsgehalt, ganz einfach per Mausklick und Bezahlung per Kreditkarte. Mum hat immer per Ratenkauf eingekauft und jede Woche oder jeden Monat einen Teil der Summe abbezahlt. Der große Unterschied war jedoch, dass Freemans unendlich viele Sachen im
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