Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
überquert.
»Das ist unser Quotenmann«, flüstert mir René zu. »Offenbar werden Männer, sobald sie in die Mode- und Textilbranche gehen, über Nacht zu einem Erfolg. Dabei tun sie nichts anderes als das, was Frauen schon immer gemacht haben«, fährt sie fort.
»Laura!«, ruft mir Chris überrascht zu.
Das Geschnatter der Damen verstummt, und alle drehen sich zu mir um.
»Hi Chris! Na, hast du im Kloster mal Freigang bekommen?«, antworte ich scherzend. Chris scheint meine Bemerkung nicht sonderlich lustig zu finden. »Tut mir leid, das war ein blöder Witz. Dein Schal gefällt mir.«
»Aus reiner Merinowolle«, erklärt er in seinem irreführenden tuntigen Tonfall. Dabei war Chris einer der heterosexuellsten Männer, die ich im College gekannt habe. Jetzt lächelt er wieder. Schenkt er dieses Lächeln mir oder den Damen?
»Wie geht es Ihnen, junger Mann?«, fragt Joyce und schiebt sich zwischen Chris und mich. Ich mustere Joyce und bewundere die Art, wie sie stur ihr Alter und sämtliche Modetrends ignoriert. Denn sie trägt einen rosafarbenen Rock mit Blümchenmuster und dazu weiße Söckchen mit Turnschuhen.
»Gut, vielen Dank. Joyce, nicht wahr? Ich war mir nicht ganz sicher wegen der neuen rosafarbenen Haartönung. Die passt hervorragend zu Ihrem Rock.«
Joyce grinst wie ein Honigkuchenpferd. »Beim letzten Mal hatte ich die Haare grün gefärbt. Aber wer mich einmal kennt, vergisst mich so schnell nicht wieder«, gluckst sie.
René gesellt sich zu uns. »Wie es scheint, brauchen wir Sie nicht miteinander bekanntzumachen. Ich nehme an, Sie kennen sich schon«, stellt sie fest.
»Ich warte immer noch auf eine Einladung in Ihr brandneues Atelier«, erklärt Chris und lächelt René an, während er gleichzeitig versucht, Joyce’ Blicken zu entgehen. »Ich arbeite ja immer noch in einem Schuppen. Ich würde gerne mal bei Ihnen vorbeikommen und sehen, wie Sie arbeiten.«
»Dazu brauchen Sie keinen Termin. Ich bin eigentlich fast immer da«, erwidert René. »Sie wissen doch, wo wir wohnen? Die Cut Loke hinunter und an der Kirche vorbei.« René schaut sich um. »Wo ist denn unsere Gruppenleiterin?«
Chris sieht mich an und lächelt schief.
»Die ist gerade angekommen«, erwidert Hannelore laut und deutlich. Sie trägt eine beigefarbene kurze Regenjacke und kniehohe braune Stiefel. Ich könnte mir so etwas leider nicht erlauben, aber ihr steht es hervorragend.
»Acht, neun, zehn, alle da«, stellt Hannelore nach einem kurzen Durchzählen fest. »Da drinnen sieht man es nicht gern, wenn alle einzeln nach und nach eintrudeln.« Sie zieht an dem Griff und betätigt die schmiedeeiserne Türglocke.
Eine hübsche junge Blondine öffnet die Tür und geleitet uns hinein.
»Das Haus gehörte einst der Familie Colman«, erklärt sie und deutet auf die Portraits, die hier die Wände zieren. Danach führt sie uns ins Speisezimmer.
»Oh, ich liebe ein wenig original englischen Senf auf meinen Würstchen«, stellt Joyce fest.
»Die Colmans haben Senf hergestellt«, flüstert René mir zu. »Sie gehörten zu den reichsten Familien in ganz Norwich.«
Wir setzen uns an einen Tisch, der früher einmal als Esstisch für zwölf Personen gedient haben muss. Dabei muss ich mich beinahe gegen Joyce wehren, die ebenfalls neben Chris sitzen will. Unfassbar! Joyce ist eine der ältesten Teilnehmerinnen in einer Gruppe voller Seniorinnen. Sie muss deutlich über achtzig sein! Auch die anderen Damen lächeln ihn strahlend an, was Chris aber nicht weiter stört. Er hat sich in reinen Frauengruppen schon immer sehr wohl gefühlt. Im College war er zum Beispiel der einzige Mann in meinem Seminar, das sich mit indianischer Kunst auseinandergesetzt hat.
Wäre Adi hier, würde er sich angesichts all der Frauen sichtlich unwohl fühlen und hätte längst eine Ausrede erfunden, um sich davonzustehlen. Vorübergehend bin ich doch ein wenig eifersüchtig und versucht, der Gruppe zu erklären, dass Chris früher einmal mein Freund war.
Die junge Kuratorin mit ihrer schwarzen Bluse und der Röhrenjeans hat neben Hannelore Platz genommen. Von Nahem betrachtet fällt mir auf, dass sie doch deutlich jünger ist als ich. Weil Chris hier ist, stört mich diese Tatsache sehr. Wo ist denn bitte mein Selbstvertrauen geblieben?
Dieser Arbeitsplatz hier würde mir auch gefallen. Ein paar Minuten lang unterhalten sich Hannelore und das Mädchen im Flüsterton miteinander, während wir anderen auf den Tisch vor uns starren. Dieser ist mit
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